1. Die Politik der Aufklärung - Schöner und besser
Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und Verbesserung einer kleinen Republik 1790 - 1835
Dies ist der erste Teil der Aufklärung in Hamburg: Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und die Verbesserung einer kleinen Republik 1790–1835. Die Aufklärung in Hamburg hat ihre eigene Homepage, which you can also read in English. Wer einen Überblick über die bisher veröffentlichten Kapitel haben möchte, klickt bitte hier.
Im 18. Jahrhundert begann überall in Europa die Zeit des großen Verbesserns. Schöner, effizienter und humaner sollte die Welt werden, die Frage war nur, wie?
Durch zweckmäßige Reform.
Das war die Standardantwort des verantwortungsbewussten, aufgeklärten Zeitgenossen. Auf Revolution konnte er dabei gut verzichten, bei Robespierre und Wohlfahrtsausschuss standen ihm zumeist die Haare zu Berge. Charakteristisch für Deutschland und Hamburg waren eher kluge Überlegungen, wie gesellschaftlicher Fortschritt ohne Gewalt und Radikalismus siegen könnte. Eigentlich nicht schwer, so bald die Regierung keinen andern Gebrauch von der ihr anvertrauten Gewalt macht, als die Beförderung des allgemeinen Wohls.[1] So äußerte sich 1794 die in Altona erscheinende Zeitschrift Der Genius der Zeit und traf damit den Nerv der Reformer. Das Hanseatische Magazin sah das ein paar Jahre später genauso: Revolution könne es nur in einem Staat geben, der dem Fortschreiten zum Beßern … entweder unübersteigliche Hindernisse in den Weg legt, oder es doch wenigstens auf eine beträchtliche Weise erschwert.[2]
Aufgeklärte Optimisten sprachen von der Perfektibilität[3] der Umstände, der Verhältnisse und des Menschen selbst. Damit lag der Ball im Feld der Regierenden. Mit einem konsequenten Programm der Verbesserung konnten sie Gesellschaften modernisieren und Revolutionen verhindern. Das wurde zum Leitmotiv Hamburger Bürgerpolitiker. Drei von ihnen stehen im Mittelpunkt dieser Texte. Sie erzählen die Geschichte von Amandus Augustus Abendroth, Johann Heinrich Bartels und Ferdinand Beneke, die zwischen 1790 und 1835 eine tragende Rollen in Senat und Bürgerschaft der Hamburger Republik spielten. Sie waren Freunde, Kollegen und Gegner, mal dies, mal jenes, je nach den Umständen und den Jahren. Die waren turbulent, markiert durch aufgeklärte Reform, die Vereinigung mit Frankreich, die Bereitschaft so mancher Bürger für eine Zukunft im napoleonischen Kaiserreich und die plötzliche Liebe anderer zur Deutschheit. Am Ende stand die Auferstehung der Republik, die dann wider Erwarten doch nicht so viel mit Nation und Deutschheit zu tun haben wollte. Die Entwicklungen waren kompliziert und widersprüchlich.
Die Politiker der Hamburger Republik lebten in einer Kultur des Wettbewerbs. Sie waren Konkurrenten. Die schöne Rede, in der sich die Republik zu festlichen Gelegenheiten gefiel, behauptete immer noch das Gegenteil, aber selbst das Motiv der Verbesserung produzierte nicht nur Gemeinsamkeiten. Nützlichkeit und Reform waren das Markenzeichen Senator Abendroths. Kollege Bartels hatte nichts dagegen, wurde im Laufe der Zeit aber immer vorsichtiger und verlangte vor jedem Schritt der Verbesserung unwiderlegliche Beweise, dass es auch funktionieren würde.[4] Das konnte im Einzelfall wohl etwas schwierig werden. Ferdinand Beneke wollte auch verbessern, suchte dabei aber pausenlos nach der großen Welterklärung. Erst war er radikaler Republikaner, eine Art Jakobiner gar, dann wurde er zum ersten germanischen Ideologen der Republik. Entscheidend dafür wurden die Armeen Frankreichs, erst vor den Toren der Republik, ab 1806 direkt auf dem Großneumarkt und dem Neuen Wall. Sie lösten eine Welle der antifranzösischen Reaktion aus, die sich irgendwann auch gegen die Aufklärung an sich richtete. Bürger entdeckten die Nation. Sie waren die Gegenaufklärer, deren Nationalgestimmtheit sich gern mit erwecktem Christentum und romantischer Kulturattitüde verband. Die Konflikte mit den Aufklärern an der Spitze der Republik, die lieber den Code Napoléon als germanische Heldensagen konsultierten, steigerten sich. Auf ihrem Höhepunkt trugen sie dazu bei, dass sich vorübergehend eine Art systemischer Gegensatz zwischen Senat und Bürgerschaft entwickelte. Die Freunde Deutschlands sahen sich nach der Befreiung als die eigentlichen Popularen, als Partei des Volkes, die die Ideale des neuen Vaterlandes gegen einen kaltsinnigen Senat durchsetzen wollten, der immer nur von Aufklärung, Verbesserung und unabhängiger Republik redete.
Jetzt ging es in einem wirklichen Sinne ums Ganze, um christlich-deutsches Vaterland gegen aufgeklärte Reform. Hamburgs Politiker lernten, in Kategorien von Partei und Opposition zu denken – zuerst ungern,[5] dann mit ziemlicher Seelenruhe. Sie begannen sogar darüber zu philosophieren – für den Hausgebrauch. Die hohe Schule der Ideen war dabei nur bedingt hilfreich. Die Geschäftsleute der Republik kamen schnell darauf, dass die Philosophie ein weites Feld war, die praktische Reform sich hingegen auch mit banalen Dingen beschäftigen musste, die das Leben der Mitmenschen aber gesünder und sicherer machten, die städtische Wasserversorgung zum Beispiel. Aber unsere Philosophen, schrieb Johann Heinrich Bartels schon 1792 sehr bestimmt und kampflustig, machen ihre Bemerkungen größtenteiles auf ihren Zimmern; den Menschen, in seinen verschidenen Lagen, und mit seinem Benemen in denselben, kennen sie gar nicht; daher ist alles was sie sagen so unvollständig, so einseitig, und oft so schief und unwahr.[6] Die Doktoren Bartels, Abendroth und Beneke waren fest entschlossen, ihre Zimmer zu verlassen, Politik für Menschen zu machen und dabei das Gemeinwesen zu einem besseren und lebenswerteren Ort umzugestalten.
Am Anfang stand der große aufgeklärte Optimismus. Dem lag ein besonderes Bild des Menschen zugrunde. Selbstbewusst sollte er sein und mutig in einem bürgerlichen durchaus arbeitenden und planenden Sinn. Ein phantasievolles Bild hatte Johann Heinrich Bartels auf Reisen in Catania entworfen, als er ein Stadtviertel besichtigte, das nach einem Ausbruch des Ätna wiederaufgebaut worden war. Er hatte gerade eine inspirierte Stunde: Dieß war mein Liblingsort in Katanien, er zeigte mir den Menschen in seiner erhabensten Größe und in seiner vollen Kraft, den Menschen, der sich aus Feuerüberschwemmungen emporarbeitete, sich eine ruhige Wonung auf dem Flammenstrome, und ein sicheres Lager in seinem erkaltenden Bette bereitete, den Menschen, der Mut genug hatte Pläne zu entwerfen, wie er aus den Verwüstungen des Feuers sich ein glükliches Leben bereiten wolte, und der sich stark genug fülte, mit ruhigem Nachdenken über das Chaos hinzuschauen, und, wie ein Gott der Erde, Ordnung über dasselbe zu verbreiten und ihm Leben einzuhauchen, unternam.[7]
Dieser unternehmende Mensch war der große Akteur des Zeitalters der Verbesserung, auch wenn er sich im kommunalen Format der Republik Hamburg eher um haltbare Straßen, hellere Leuchttürme, eine verlässliche Wasserversorgung und Sparkassen kümmerte. Nicht jeder konnte einem Lavastrom trotzen – aber vielleicht doch dafür sorgen, dass an gefährlichen Stellen an den Fleeten Rettungsringe hingen. Praktische Reform stand auf der Tagesordnung, ihre Geschichte und ihre Konflikte sollen hier erzählt werden. Sie brachte einen eigenen republikanischen Typus hervor. Abendroth schrieb von den besten Menschen, die mit Eifer eine Glük Wohlstand und Besserseyn bringende Idée ausführen wollen, von ihrer wohlwollenden Lebhaftigkeit.[8] Der leicht enthusiasmierte Doktor rechnete sich selbst natürlich zu ihnen, den Guten, den Besten, die das Alte für eine vernünftigere Zukunft über Bord werfen wollten. Man muß übrigens nie Rückschritte machen, sondern immer den Zeiten gemäß, fortschreiten.[9] Als er das schrieb, war er Mitte 60 und Bürgermeister, ein verlässlicher Optimist und Verbesserer in allen Lebensaltern.
Ob die Reformen für mehr Glück und Wohlstand auch Auswirkungen auf die politische Konstruktion der Republik haben sollten, musste sich zeigen. Die aufgeklärten Republikaner Hamburgs fühlten sich als Elitebürger der Aufgabe der Reform durchaus ohne Assistenz des Volkes und der kleinen Leute gewachsen. Sie tendierten zur Ansicht, dass populäre Einmischung den Prozess der Verbesserung stören würde, waren hinter vorgehaltener Hand gar der Auffassung, dass die Republik sich etwas weit in Richtung Demokratie bewegt hatte, und zeigten Bereitschaft, diese Entwicklung zu bremsen.
Aber die Dinge entwickelten sich anders. Die politische Kultur der rationalen Verbesserung wurde völlig unerwartet durch eine Welle des Gefühls und des Glaubens überrollt. Noch zu Silvester 1800 hätte das keiner der festlich gestimmten Bürger, die an Alster und Elbe den Beginn des neuen Jahrhunderts feierten, für möglich gehalten. 1813/14 war es Realität: Freunde der Nation und erweckte Christen wie Ferdinand Beneke betrachteten kaltsinnige Aufklärer zunehmend als Gegner und suchten in der alten Verfassung nach Hebeln, Volk und Glauben wieder zu den angestammten Rechten zu verhelfen. Vorübergehend war das populär. Die Senatoren Bartels und Abendroth waren entschieden anderer Meinung, hielten wenig von modischer Germanomanie und gefühligem Christentum, versuchten lieber die Politik der Republik im Fahrwasser der vernünftigen Reform zu halten.
Es wird im Folgenden auch viel von Geld die Rede sein. Bartels, Abendroth und Beneke kamen aus bürgerlichem Milieu, waren aber nicht reich. Sie mussten immer ein Auge auf ihre Finanzen haben, was nicht immer mit dem Wunsch nach einer politischen Karriere zu vereinbaren war. Vorzüglich erfolgreiche Rechtsanwälte wurden gerne in den Senat gewählt, auch gegen ihren Willen. Die Wahl war in der Regel mit erheblichen Einkommensverlusten verbunden, da die Senatsgehälter gering waren. Zudem mussten alle Reformprojekte finanziert werden. Deshalb hatten, wie Abendroth zweckmäßig und nur leicht ironisch anmerkte, der Mangel, oder der Ueberfluß an Geld, wie bei allen sublunarischen Einrichtungen, jedesmal einen großen Einfluß.[10] Ohne Geld also ging es nicht. Deshalb werden hier Summen angegeben, aber immer gerundet. Sie sollen einen Eindruck verschaffen, ein Gefühl für große oder kleine Ausgaben vermitteln. Es sollen keine Bilanzen nachgerechnet werden. Drei Werte empfehlen sich zum regelmäßigen Vergleich: Der mittlere bürgerliche Haushalt – damit meinte die Zeit auch Haushalte von Senatoren und Rechtsanwälten – brauchte pro Jahr 5.000 Mark, nach dem Inflationssprung der 1790er-Jahre sogar 10.000. Ein Arbeiterhaushalt musste hingegen mit 400 oder 500 Mark auskommen. Die öffentlichen Ausgaben der Republik lagen etwa bei 5 Millionen Mark, vor 1810 eher mehr, nach 1814 eher weniger.
Eine Anmerkung zur Begrifflichkeit. Die Republik verfügte über eine reiche Tradition – und die Worte, um diese Tradition in Szene zu setzen. Von Oberalten war die Rede, von Kirchspielen und von einem Pesthof. All diese Begriffe werden heute leicht miss- auch gar nicht verstanden. Deshalb treten in diesem Text neben die traditionellen Ausdrücke moderne, funktionale Begriffe. Für die Oberalten steht auch Präsidium der Bürgerschaft, für Kirchspiel parlamentarische Kammer, wenn das gemeint war, oder Wahlkreis. Diesen Sinn konnte das Wort Kirchspiel ebenfalls annehmen. Die aufgeklärten Reformer hatten übrigens Sinn für den Wert von Worten und modernisierten die Nomenklatur, wenn der alte Begriff zu viel Mittelalter atmete. Den Pesthof tauften sie erst in Krankenhof, wenig später in Krankenhaus um. Man muss nicht lange überlegen, warum.
Ein Wort zu den Bürgern. Hamburg war voll von ihnen, aber sie waren nicht alle gleich. Das politische Element spielte eine große Rolle. Der Hamburger Bürger sagte dann: der Patriot. Der Patriot war der republikanische Citoyen auf Hamburgisch. Musterbeispiel dieser Spezies war Claes Bartels, Vater von Johann Heinrich Bartels. Er beteiligte sich an Sozialreform und kommunaler Selbstverwaltung. Faktisch war dieser Typus natürlich in der Minderheit. Die Mehrheit bestand aus einer großen Zahl von Bürgern von eher mittlerem und kleinerem sozialen Format, die ihrem Erwerb nachgingen und den Gemeinnutz auf sich beruhen ließen. Und der Bourgeois, der Bürger des großen Geldes? Die Republik kannte das Phänomen. Sie missbilligte es in seiner krassen Form, diskutierte darüber unter dem Aspekt von Luxus und Bürgertugend und kam zu dem Schluss, dass Luxus nur mit Bürgertugend zulässig sei. Der Bourgeois – natürlich gab es ihn trotzdem und er verdiente goldene Berge – musste sich in der Republik kritische Blicke der aufgeklärten Elite gefallen lassen.
Der Bildungsbürger war eher selten vertreten, am sichtbarsten vielleicht an Johanneum und Akademischem Gymnasium, den höheren Anstalten der Wissensvermittlung in Hamburg. Die Professoren wurden von der übrigen Bürgerschaft aber mit Skepsis beäugt. Senator Abendroth sprach etwas brutal von Angestellten,[11] womit in der Republik der Selbstständigen so ungefähr schon alles gesagt war. Von jedem Bürger wurde ein Minimum an Alltagstauglichkeit erwartet. Von zertifizierten Akademikern ließen sich gestandene Kaufleute nicht übermäßig beeindrucken. Von studierten Juristen hingegen schon. Die zeigten aber deutlich Neigung, in die Bourgeoisie abzugleiten – so nahmen die kritischen Aufklärer es wahr. Man konnte als Jurist reich werden. Dr. Friedrich Johann Lorenz Meyer von der Patriotischen Gesellschaft warf den Kollegen vor, in der behaglichen Ausübung der goldnen Praxis zu versumpfen.[12] Auch das wird hier thematisiert, nicht als steile Theorie von Philosophen auf ihren Zimmern, sondern als alltägliche Lebenswirklichkeit.
Die Führer durch diese republikanische Welt der Politik, des Handels, des Luxus und der Moden sind die Doktoren Bartels, Abendroth und Beneke. Sie haben viel zu erzählen, die Quellen fließen reich und ergiebig. Manchmal allerdings weisen sie in die falsche Richtung. Die Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft zum Beispiel verdecken oftmals eher die Schärfe der Auseinandersetzung, vor allem verschweigen sie die Namen der Beteiligten. Die Zeitgenossen erkannten darin die Tugend der Unparteilichkeit, vergaßen aber, dass viele Entscheidungen keineswegs unumstritten waren und dass insbesondere Verbesserungen und Reformen von sehr urteilsfreudigen und entschlossenen Politikern vorangetrieben wurden, die Konfrontationen nicht scheuten. Diese ausgeprägte Streitkultur lässt sich nur über Tagebücher und Briefe erschließen, die allerdings ihre eigenen Probleme mit sich bringen. Bürgermeister Abendroth schrieb so unleserlich, dass die meisten Empfänger sich fragten, was sie da eigentlich vor Augen hatten, und das unvergleichliche Tagebuch von Dr. Beneke bietet in der Tat seltene Einblicke, aber bei seinen politischen Urteilen ist eher Vorsicht geboten. Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb, wenn immer möglich, werden die Quellen in diesem Text zitiert. Ironie, Polemik, Mikro- und Makroaggressionen, die den Hamburger Politbetrieb damals genauso wie heute kennzeichneten, wirken am besten im Originalton.
Die Abkürzungen StAHH, StAB und StACux beziehen sich auf Bestände der Stadt- und Staatsarchive von Hamburg, Bremen und Cuxhaven; die Fußnoten auf die Literaturliste.
[1] Was hätte geschehen müssen, S. 360.
[2] Smidt: Hansestädten, S. 302.
[3] Smidt: Hansestädten, S. 302.
[4] Beneke: Bürgermeister, S. 55.
[5] Als der Publizist Jonas Ludwig v. Heß anfangs in den Verdacht geriet, für bestimmte Parteien zu schreiben, verschlossen sich ihm sofort alle Türen. Grolle: Republik, S. 10.
[6] Bartels: Briefe, Bd. 3, S. 441.
[7] Bartels: Briefe, Bd. 3, S. 4.
[8] StAHH, Familie Beneke Ferdinand Beneke C 11, Abendroth an Beneke, (unleserlich).5.1818.
[9] Abendroth: Bemerkungen, S. 9.
[10] Abendroth: Bemerkungen, S. 3.
[11] StAHH, Senat Cl VII Lit He No 1 Vol 38 Dok 11b, Kommentar Abendroths zur Schulreform, 31.1.1837.
[12] Meyer: Skizzen, Bd. 2, S. 306f.
Klasse Artikel! Besonders spannend finde ich, wie die Ideen der Aufklärung in die heutige Politik eingeordnet werden und wie wichtig Freiheit und Vernunft fürs individuelle und gesellschaftliche Denken sind. Regt zum Nachdenken an!