15. Energiekrise
Von Frostbeulen und Sparöfen oder Eine patriotische Feuerungs-Handels-Sozietät
Um 1800 steckte Hamburg in einer Energiekrise. Der Nachschub von Holz und Torf stockte und die Preise stiegen. Die Patriotische Gesellschaft erfand eine gemeinnützige Feuerungs-Handels-Sozietät.
Dies ist Teil 15 der Aufklärung in Hamburg: Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und die Verbesserung einer kleinen Republik 1790–1835. Die Aufklärung in Hamburg hat ihre eigene Homepage, which you can also read in English. Die Einleitung beschreibt, worum es geht, und wer einen Überblick über die bisher veröffentlichten Kapitel haben möchte, klickt bitte hier.
Um 1550 bemerkten die Londoner, dass Holz knapp und teuer wurde.[1] Die Reaktion kam schnell, bis 1600 stellte die Metropole auf Kohle um. Der Jahresverbrauch verzehnfachte sich auf 150.000 Tonnen und im Jahr 1700 waren es über 600.000.[2] Die Versorgung übernahmen Kohleflotten aus Newcastle. Es war ein Schlüsselmoment der Moderne. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde eine Gesellschaft unabhängig von ihren natürlichen energetischen Grundlagen, die industrielle Revolution kündigte sich an und die Wirtschaft begann zu wachsen. Die neue Energiequelle hatte auch eine sozialpolitische Dimension. Kohle war billig, sie war der Brennstoff der Armen.[3] Der Nachteil: Über der Stadt hing eine dicke Abgaswolke.
In Hamburg setzte der Wechsel von Holz zu Kohle Ende des 18. Jahrhunderts ein. Holz brachten bis dahin die Boizenburger und Lauenburger Schiffer aus Brandenburg und Mecklenburg über die Elbe zum Hamburger Verbraucher. Aber es mehrten sich die Zeichen einer ökologischen Krise: Das Land war weitgehend abgeholzt, die Versorgung begann zu stocken und die Preise für Brennstoffe schossen in die Höhe. Ueberhaupt betrachtet, stellte die Patriotische Gesellschaft 1801 fest, ist diese Theurung zu suchen, in der fast allgemeinen Abnahme der Forsten, – in der Abnahme und der schlechten Bewirthschaftung der Torfmoore in unsern Gegenden, – in dem gegenwärtigen Kriege … – in dem erhöheten hiesigen Arbeitslohn, – vornehmlich auch in der seit etwa zehn Jahren so sehr vermehrten Volksmenge in Hamburg und Altona, wo nun ein Drittheil mehr Feurung als vorher verbraucht wird, – endlich noch in der neuen Anlage von Kalk- und Ziegelbrennereien und andern Fabriken in der Nähe.[4] Die Preise für Holz und Torf brachten viele Haushalte in Schwierigkeiten. Im Winter 1800/1801 wurde Torf pfundweise auf den Straßen verkauft, ein unerhörter Vorgang.[5] Kinder kamen mit Frostbeulen zur Schule, Arme blieben im Bett, weil sie ihre Wohnung nicht heizen konnten.[6]
Um 1800 importierte die Stadt pro Jahr Brennmaterial für 4,5 Millionen Mark. 3,9 Millionen Mark gaben die Privathaushalte aus, 600.000 die Gewerbebetriebe.[7] Bei 130.000 Menschen und einer durchschnittlichen Familiengröße von fünf Personen lagen die Heizkosen pro Familie im jährlichen Mittel also bei 150 Mark. Die Händler nutzten die Knappheit. Die hohen Preise führten dazu, dass die Armenanstalt intervenierte. Sie machte Druck und handelte Sonderverträge aus.[8] Dahinter stand die Sorge vor den gesellschaftlichen Folgen der Energiekrise. Nicht allein die Vermögensumstände von manchen Einzelnen, dürften durch die sehr erhöheten Preise aller dieser Feurungsbedürfnisse zerrüttet werden, sondern auch das Verhältniß aller Einwohner Hamburgs, unter sich sehr leiden. Die Miethen, der Tagelohn u.s.w. werden steigen.[9] Mit anderen Worten, es krachte im sozialen Gebälk, nicht nur in Hamburg. Georg Forster, Naturforscher und Revolutionär, befürchtete, dass der Holzmangel zu einer mitwirkenden Ursache für eine allgemeine Revolution in Europa[10] werden könnte. Bei der Patriotischen Gesellschaft schrillten alle Alarmglocken. Sie erörterte Aufforstungen, eine verbesserte Bewirtschaftung der Wälder und drängte darauf, insbesondere auch den geringen Mann in Zeiten z u m S t e i n k o h l e n b r a n d e z u g e w ö h n e n.[11] Das war das Programm.
1797 hatte sie eine Kommission eingesetzt, um die Energiekrise aus allen Blickwinkeln zu beleuchten. Sie bestand aus dem Sozialpolitiker Amandus Augustus Abendroth, dem Chemiker Peter Christoph Heinrich Brodhagen, dem Senator Johann Arnold Günther, dem Mediziner Johann Jakob Rambach und einigen anderen mehr.[12] 1801 veröffentlichte sie ihre Ergebnisse.[13] Verschiedene Maßnahmen zur Erweiterung des Angebots waren denkbar. Torflager in der Grafschaft Rantzau-Breitenburg sollten durch einen Kanal an den Hamburger Markt angeschlossen werden. Wahrscheinlich könnten diese großen Moore durch einen eben nicht kostbaren Torfkanal mit der Stöhr, und von hieraus mit der Elbe, in Verbindung gesetzt, und dadurch ebenso nutzbar werden, als dieses seit einigen Jahren mit dem Düvels-Moor geschehen ist.[14] Die Brennstoffreserven des Teufelsmoors zwischen Lilienthal und Bremervörde hatte die Regierung des Kurfürstentums Hannover seit etwa 1750 durch große Investitionen erschlossen. Moorkommissar Jürgen Christian Findorff hatte das Projekt technisch und wirtschaftlich betreut.[15] Entstanden war eine vorbildliche Moorkultur. Der Torf wurde per Boot nach Hamburg und Bremen verschifft.
Wichtiger aber war die Kohle. Optimistisch schätzten die Analysten der Patriotischen Gesellschaft die Zukunft des Kohlehandels mit England und Schottland ein. Die britischen Gruben könnten ganz Europa mit Kohle versorgen.[16] Caspar Voght hatte die Lieferketten erforscht. Die Preise für Kohle aus England waren unschlagbar.[17] Allerdings hatten Wissenschaftler festgestellt, dass die Verbrennung Schadstoffe freisetzte, die die Luft verpesteten. Der Schwefelgehalt war das Problem, Koks war die Lösung. Der brannte sauberer und entwickelte eine dreimal größere Hitze,[18] analysierte der Chemiker Brodhagen, der auch naturwissenschaftliche Vorlesungen für die Handwerker der Republik hielt. Damit war der Umwelt gedient und die Umstellung auf ein neues Energieregime konnte beginnen. Die Coaks geben keinen übeln Geruch, denn durch die Abschweflung haben sie den beigemischten Schwefel verloren, auch haben sie nicht den vielen Rauch und Schmutz der rohen Steinkohlen.[19]
Die volkswirtschaftliche Problematik der Energieversorgung war aber möglicherweise größer als die naturwissenschaftliche. Die Patriotische Gesellschaft erwog die Gründung einer patriotischen Feuerungs-Handels-Societät.[20] Ein gemeinnütziges Unternehmen auf Aktienbasis sollte die Ideen des Komitees umsetzen. Es sollte umfangreiche Aufgaben wahrnehmen: verstärkte Importe von Kohle, Torf und Holz; Herstellung von Koks und Lütticher Brand – besonders gut geeignet für den Hausgebrauch; Einführung standardisierter Maßeinheiten; Bekämpfung monopolistischer Absprachen unter den Händlern und Arbeitern. Der Ton war kämpferisch, von der Despotie der Feuerungshändler war die Rede und von den Arbeitern, deren Lohn in billige Schranken zu setzen sei.[21] Das Programm für einen verbraucherfreundlichen und preisgünstigen Energiehandel war auf Transparenz und einen gut funktionierenden Markt ausgerichtet. Den wollte die Patriotische Gesellschaft nicht über staatliche Regulierung erreichen, sondern über ein gemeinnütziges Unternehmen, das faire Bedingungen für die Kundschaft sicherstellte. Die patriotische Feuerungs-Handels-Sozietät sollte als marktregulierender Wettbewerber auftreten.
Das Projekt war außerordentlich ambitioniert, aber es wurde nichts daraus. Angesichts der Größe des Hamburger Brennstoffmarktes war das kein Wunder, immerhin war von Millionenumsätzen die Rede. Das Komitee konnte sich nicht entschließen, die gemeinnützige Handelsgesellschaft zu empfehlen. Das Projekt war einige Nummern zu groß und es war klar, dass die privaten Händler entschlossenen Widerstand leisten würden. Trotzdem zeigt es sehr schön, wie die Reformer sich das optimale Funktionieren von Märkten für den Verbraucher vorstellten.
Es könnte sogar sein, dass die Hamburger Importe von englischer Kohle in kurzer Zeit ein erhebliches Volumen erreichten. 1802 kam ein knappes Sechstel aller englischen Schiffe, die den Hamburger Hafen anliefen, aus Newcastle – 111 von 619.[22] Dass Schiffe aus Newcastle Kohle transportierten, ist nicht ganz unwahrscheinlich.[23] Andere Zahlen zeigen allerdings, dass sich die englischen Kohleimporte eher verhalten entwickelten. 1795 führte die Republik 13.300 Lasten ein. Dieser Wert sank bis 1799 auf 9.600 Lasten, erhöhte sich 1801 auf 15.800 und fiel 1804 wiederum auf 8.800 Lasten, bevor er 1805 einen Sprung auf 14.100 Lasten machte.[24] Der Wechsel des Energieregimes zur Kohle ließ wohl doch noch auf sich warten.
Die Versorgung mit Kohle sollte verbessert, der Verbrauch optimiert werden. Noch Jahre später stellte Senator Abendroth fest, dass die Wohnungen unserer Armen wenig für eine regelmäßige Heizung eingerichtet sind.[25] Mit anderen Worten, es zog, und die wenig effizienten Öfen heizten die Außenluft. Neben der Förderung neuer Brennstoffe unterstützte die Patriotische Gesellschaft daher die Einsparung von Energie.[26] Es wurde jetzt sehr praktisch und sie hatte damit schon 1791 begonnen. Ein Preis für die Konstruktion von Sparöfen war ausgesetzt worden. Für die wissenschaftliche und architektonische Begleitung des Projekts sorgten der gerade erwähnte Brodhagen und Johann August Arens, der für die elegante Welt der Republik bequeme Häuser nach dem neuesten Stand der Technik baute.
Nachdem 1797 das Energiekomitee eingesetzt worden war, ging es weiter. In einer Serie von Artikeln veröffentlichte die Gesellschaft in den Addreß-Comptoir-Nachrichten von 1800 die Tipps des Grafen Rumford zur Einsparung von Energie. Er hatte eine ganze Produktlinie vom Herd über die Kasserolle bis zum Kochtopf entwickelt. Dazu gehörte auch die Gestaltung zweckmäßiger Schornsteine.[27] Durch eine Preisaufgabe mit Prämie wollte Patriotische Gesellschaft besonders die Installation industriell genutzter Kessel in Kattunfabriken und Branntweinbrennereien fördern. Ein Modell war in der Burmesterschen Kattundruckerei am Drillhaus zu besichtigen. Ein Maurer erhielt für seine Herde, Öfen und Kochstellen für die Rumfordsche Suppe eine goldene Ehrennadel. In der Küche von Gerhard Steetz an der Zollenbrücke, er war Mitglied der Patriotischen Gesellschaft, konnte man sich nachmittags nach Anmeldung die Funktionsweise seines Sparherdes demonstrieren lassen, den er sich zu seiner vollkommensten Zufriedenheit[28] hatte bauen lassen. Seine Köchin Engel Meyer hatte am Gerät eine derartige Virtuosität entwickelt, dass die Gesellschaft ihr eine silberne Ehrennadel verlieh. Zusätzlich erhielt sie ein Geldgeschenk, wahrscheinlich in der weisen Einsicht, dass arbeitendes Volk mit Ehrennadeln nicht allzu viel anfangen konnte. Die Gewerbeförderer waren etwas verdutzt über sich selbst, dass sie nun auch Köchinnen ehrten.
Da sie aber nun einmal dabei waren, sorgten sie für die Nachahmung solcher lobenswürdigen häuslichen Wirthschaftlichkeit[29] auch in bürgerlichen Kreisen, und zwar vermittelst Publikation in einem Intelligenzblatt. In den Wöchentlichen gemeinnützigen Nachrichten von und für Hamburg fand sich Fräulein Meyer im 10. Stück des Jahres 1801 noch einmal geehrt. Die Energiespar-Kampagne der Patriotischen Gesellschaft lief auf Hochtouren.
Die Abkürzungen StAHH, StAB und StACux beziehen sich auf Bestände der Stadt- und Staatsarchive von Hamburg, Bremen und Cuxhaven; die Fußnoten auf die Literaturliste.
[1] Cavert: Smoke, S. 21f.
[2] Cavert: Smoke, S. 24.
[3] Cavert: Smoke, S. 26.
[4] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 386.
[5] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 387.
[6] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 407.
[7] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 385. Auf fünf Millionen Mark beliefen sich in etwa die Staatsausgaben eines Jahres in Hamburg.
[8] Voght: Gesammeltes, S. 14.
[9] Verhandlungen und Schriften, Bd. 5 (1799), S. 260.
[10] Zitiert nach Neue Zürcher Zeitung, 12.11.2022.
[11] Verhandlungen und Schriften, Bd. 5 (1799), S. 260.
[12] Verhandlungen und Schriften, Bd. 5 (1799), S. 265.
[13] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 369–462.
[14] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 376.
[15] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 377; Küster: Geschichte, S. 283f.
[16] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 380.
[17] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 381–383.
[18] Verhandlungen und Schriften, Bd. 1 (1792), S. 313–330.
[19] Verhandlungen und Schriften, Bd. 1 (1792), S. 329.
[20] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. S. 403–405.
[21] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 404.
[22] Schmidt: Hamburg, Teil 1, S. 759.
[23] Fremdling: Kohle, S. 29f.
[24] Westphalen: Zustand, S. 26.
[25] Abendroth: Publikum, S. 10.
[26] Verhandlungen und Schriften, Bd. 1 (1792), S. 125f.
[27] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 391–398.
[28] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 394.
[29] Verhandlungen und Schriften, Bd. 6 (1801), S. 395f.