Dies ist Teil 28 der Aufklärung in Hamburg: Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und die Verbesserung ihrer Republik 1790–1835, which you can also read in English. Die Einleitung beschreibt, worum es geht, und wer einen Überblick über die bisher veröffentlichten Kapitel haben möchte, klickt bitte hier.
1798 kam ein Besucher aus Bremen an die Elbe, Johann Ludwig Ewald. Er war ein bekannter Schulreformer und Schriftsteller des Fortschritts, von Haus aus Theologe, die Mischung kam nicht selten vor. Die Türen der Hamburger Aufklärer öffneten sich dem gut vernetzten und unterhaltsamen Reisenden. Er war Gast bei Senator Johann Michael Hudtwalcker und bei Georg Heinrich Sieveking, er machte die Bekanntschaft Johann Heinrich Bartels’ und auf seinen Runden durch die Stadt begleitete ihn Ferdinand Beneke. Irgendwann stand er vor dem Landhaus Johann Arnold Günthers und wurde auch dort freundlich empfangen.
Der Senator beschäftigte sich gerade mit der Reform des Gesundheitswesens und ahnte schon, dass es damit Schwierigkeiten ohne Ende geben würde. Damit behielt er recht. Es sollte fast zwanzig Jahre dauern, bis Kollege Bartels damit endlich zu Rande kam. Woran lag das? Möglicherweise zu viel Demokratie in der Republik? Oder zu viel Republik an und für sich? Günther und seinem Besucher drängte sich dieser Verdacht auf. Nach einem Spaziergang durch den weitläufigen Garten – Gemüse zwischen traulichen Baumgruppen – und der Besichtigung der Kupferstichsammlung – Schweizer Gletscher nach der Natur: die Politik. Wir sprachen über neue Anstalten in Demokratieen; wie schwer sie werden; wie viele Hindernisse man überwinden müßte. Der Gedanke ward mir wieder lebendig, daß eine reine Demokratie eigentlich nur für Staaten ist, die fast gar keine Einrichtungen bedürfen, oder für solche, wo schon alle gute Einrichtungen gemacht sind. Demokratieen sind zum Erhalten dessen, was da ist, aber nicht zum Weiterkommen.[1]
Republik und Demokratie, das war der Verdacht, erstickten die exekutive Energie, die der Staat zur Verbesserung der bürgerlichen Gesellschaft brauchte. Genau um diese Frage hatte es schon einmal einen handfesten Skandal mit maximaler Öffentlichkeitswirkung gegeben. In der Stadt war Anfang der 1780-er Jahre ein Buch erschienen Unwiederrufliches Fundamental Gesetz … der Stadt Hamburg, Verfasser Ludwig von Heß. Es war eine Generalabrechnung mit der Republik, nicht nur mit dieser spezifischen, sondern mit der Republik als Staatsform. Man muß gestehen, wie stark man auch für die republikanische Regierung eingenommen ist, daß die monarchische darin einen Vorzug hat, daß ein Regent fähiger ist, selbst zu untersuchen und pflichtvergessene Bediente des Staats zu überraschen, um hinter der Wahrheit zu kommen, als ein bürgerliches Collegium.[2]
Für diese Unlust eines bürgerlichen Kollegiums zum Handeln gab es verschiedene Gründe: Bequemlichkeit, Konfliktscheu, eine gewisse Neigung zum Nichtstun unter dem Vorwand, die Freiheit zu schützen.[3] So malte Heß sich die Sache aus. Er gab aber gleich Entwarnung: Der Hamburger Bürger musste sich keine Sorgen machen, denn auf dem Thron der Reform und der Verbesserung saß Joseph II., deutsch-römischer Kaiser: Wohl dir, Deutschland! daß ein Kayser darauf sitzet, der einen durchdringenden Verstand und ein menschenfreundliches Herz hat; der es nicht bloß auf seine Minister ankommen läßt, sondern alles selbst untersuchet; selbst über die Sachen nachdenket und selbst darüber urtheilet.[4] Die Majestät verlieh dem Publizisten in Anerkennung seiner Verdienste eine goldene Medaille, der Senat hingegen war beleidigt. Der Vergleich fiel doch sehr ungünstig aus.
In der Republik brach publizistischer Aufruhr los.[5] Heß wurde ausgewiesen, sein Buch verboten, trotzdem erschien wegen der großen Nachfrage eine zweite Auflage. Innerhalb von drei Tagen wurden 500 Exemplare verkauft. Dann nahm sich der Henker auf höhere Anweisung des Werks an und verbrannte es, die Schandglocke bimmelte schrill dazu. Bürgermeister Bartels kannte dieses Buch und nahm es sich 1823 zum Vorbild für seine eigene Veröffentlichung der Hamburger Grundgesetze. Eine seiner Quellen war, nach eigener Angabe, ein in Hamburg bekannter Abdruck von 1781 und 1782.[6] Es kann eigentlich nur dieser hochskandalöse Text des Herrn von Heß gewesen sein. Dr. Bartels wusste jedenfalls ziemlich genau, dass er zur Zeit seines Erscheinens höchst gemißbilligt worden.[7] Er nahm darauf aber keine Rücksicht. Vielleicht zog Kollege Wilhelm Amsinck auch aus diesem Grunde vor, das neue Werk von Dr. Bartels unaufgeschnitten in seiner Bibliothek verkümmern zu lassen.[8]
Die umliegenden Monarchien hatten in den letzten Jahrzehnten einen wundersamen Wandel durchgemacht. Sie waren zu Maschinen aufgeklärter Reform geworden. Das galt im Großen: Friedrich II. von Preußen und eben jener Joseph II. kamen den Zeitgenossen in den Sinn. Und es galt im Kleinen: Nicht sehr weit von Hamburg entfernt regierten der allverehrte Herzog von Oldenburg,[9] wie Dr. Abendroth ihn öffentlich nannte, und etwas weiter entfernt die Fürstin Pauline zur Lippe. Der allverehrte Herzog war Peter I. Friedrich Ludwig von Oldenburg, der sein Land mit Schulen, Armenanstalt und Sparkasse in einen aufgeklärten Musterstaat verwandelte. Er hatte sich bei der Patriotischen Gesellschaft nach Vorbildern für seine Projekte umgesehen. In Hamburg wurde er Prinz Peter genannt und wohnte in der Nähe der Eltern von Dr. Meyer, dem zukünftigen Regenten der Patriotischen Gesellschaft, für den besagter Prinz zum Musterbeispiel eines guten, Landbeglückenden Fürsten[10] wurde. Mit der Fürstin Pauline, einer Freundin Napoleons und Karl Friedrich Reinhards, des französischen Diplomaten in Hamburg,[11] verbrachte Abendroth unterhaltsame Tage in Cuxhaven. Diese Regenten und Regentinnen zeigten, wie man mit Energie und Entschlossenheit verschlafene Kleinstaaten in Zentralen des Fortschritts verwandelte.
Manchmal beneidete Abendroth diese verbessernden Absolutisten und versuchte in Ritzebüttel Ähnliches. Dort ließ er seinen Reformenergien in sicherer Entfernung von den Hamburger Kommissionen, Kollegien und Deputationen freien Lauf. Wer viel frägt erhält viele Antworten,[12] schrieb er frisch, tat, was er wollte, und reformierte zügig. In Hamburg war bis zum Anschluss an das Kaiserreich Napoleons 1810 nicht daran zu denken. Alle blockierten sich gegenseitig, und heraus kam wenig bis nichts: Man hat häufig über die zu große Schwerfälligkeit unsrer Verfassung in Beliebung neuer Verordnungen und großer Veränderungen geklagt, wer in diesem Fache gearbeitet hat, wird ganz in diese Klage einstimmen.[13]
Auch Freund Bartels bewunderte entschlossene Regenten, besonders gern erinnerte er sich unsers izigen glorwürdigen Kaisers, Leopolds,[14] der ihm, noch als Großherzog der Toskana, ohne großen Aufwand den Zugang zu den Geheimarchiven von Florenz erlaubt hatte. Aber Leopold regierte nur kurz, größeren Eindruck machte Friedrich II. von Preußen mit seinen großen Infrastrukturprojekten. Jedem Land wünschte Dr. Bartels, dass es einen Regenten hätte, der wie Friedrich der Große für Kultur des Landes sorgte, und man nicht mehr über Versäumniß großer Distrikte zu klagen nöthig hätte.[15] Seine Freunde kannten diese Vorliebe für die Monarchie und einer von ihnen fragte humoristisch bei Dr. Bartels an, ob Sie … Ihre Vorurtheile gegen Republiken noch nicht abgelegt haben.[16] Er würde sie in Kürze ablegen und zum Hamburger Überrepublikaner werden. Aber der aufgeklärten Reform konnte es eben nicht schnell genug gehen. Sein Vorbild Senator Günther hatte ja ebenfalls schlechte Erfahrungen gemacht.
Republiken versagten. Selbst bei Verbesserungen wie dem Hochwasserschutz, die auf der Hand lagen, fanden sich keine Mehrheiten.[17] Kollege Abendroth konnte die Beispiele mühelos fortsetzen. Die Zölle beeinträchtigten die Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Handels. Berge von Papier mit Reformvorschlägen waren dazu produziert worden. Sie bereicherten das Archiv.[18] Die Republik sollte das 1814 bedauern, jetzt sitzt uns, wie man sagt, das Messer an der Kehle.[19] Abendroth konnte sich sehr plastisch ausdrücken.
Es war allerdings so, dass die aufgeklärte Monarchie manchmal in Vielregiererei verfiel, die ihren Bürgern auch nicht gut bekam. Selbst ein Prinz Peter konnte problematisch werden. Der war auf der Höhe der Zeit und las Rousseau – allerdings durchaus kritisch. Rousseau hatte im Contrat Social geschrieben, dass das Volk den Kontrakt mit dem Herrscher auch aufkündigen dürfe. Diese Idee fand der Regent von Oldenburg und Eutin nicht so gut, er sei doch schließlich der treusorgende Vater seines Landes.[20] Goldene Fürstenworte, meinte Dr. Meyer, womit allerdings offen blieb, was mit weniger idealisch veranlagten Herrschern passieren sollte.
Die hochmögenden Regenten redeten viel vom Glück und vom Guten, vergaßen aber den Bürger zu fragen, ob er denn überhaupt beglückt werden wollte. Auch davor musste man sich hüten, so die Erkenntnis Abendroths, typischerweise eine Erkenntnis, die etwas reifen musste. Aber spätestens in den 1830er-Jahren war er davon überzeugt, dass der Staat die Freiheit mündiger Menschen deren Vormünder wir nun einmahl nicht sind und nicht seyn können noch müssen, nicht beschränken dürfe, um nicht in die Fußstapfen des unvergleichlichen Joseph zu verfallen der die Menschen auch wider ihren Willen glüklich machen wollte.[21] Guter Regentenwille führte nicht immer zu guten Ergebnissen. Der Bürger musste gehört werden, was ja eine sehr republikanische Disziplin war. Im Übrigen waren reformierende Monarchen ein schöner Zufall, auf den man nicht bauen konnte. Erfahrungsgemäß war Regentendummheit weiter verbreitet. Dr. Bartels hatte das schon 1786 in seiner schönen Rede vor den römischen Freimaurern herausgearbeitet, worin ich vil über Vorurteile Aberglauben Regentendumheit u.s.w. sprach.[22] Ein Leben später, 1835, hätte sich seine Magnifizenz derartige Ungezogenheiten nicht mehr erlaubt, zumindest nicht in öffentlicher Rede, man wurde älter und klüger, zumindest vorsichtiger.
Und dann hing doch auch viel von Zufällen ab. Daß eine einzelne Aristokratie gut ist, verbürgt die Güte dieser Regierungsform eben so wenig, als Friedrichs II. Regierung die abstracte Güte des Despotismus.[23] Das musste auch einmal gesagt werden. Es war eine Idee von Senator Günther, die er auf Hamburger Gesellschaften bestimmt nicht für sich behielt. Es gab viel zu diskutieren und es wurde überraschend kontrovers diskutiert, zum Beispiel darüber, ob es in der Republik zu viel Ungleichheit gab. Darüber mehr im nächsten Kapitel.
Die Abkürzungen StAHH, StAB und StACux beziehen sich auf Bestände der Stadt- und Staatsarchive von Hamburg, Bremen und Cuxhaven; die Fußnoten auf die Literaturliste.
[1] Ewald: Fantasieen, S. 183f.
[2] Heß: Fundamental-Gesetz, S. 86. Ludwig von Heß war der Vater des Topografen Jonas Ludwig von Heß, der in diesem Text schon häufig zitiert worden ist.
[3] Heß: Fundamental-Gesetz, S. 87.
[4] Heß: Fundamental-Gesetz, S. 86.
[5] Schrader: Hamburg, S. 116–121; Seelig: Entwicklung, S. 102f.
[6] Bartels: Abdruck, S. IV.
[7] Bartels: Abdruck, S. 174.
[8] SUB, Nachlass Christian Friedrich Wurm Bd 52, einleitende Bemerkungen Wurms über Bartels.
[9] Abendroth: Wünsche, S. 161.
[10] Meyer: Darstellungen, S. 334.
[11] Delinière: Reinhard, S. 4.
[12] StACux, Amtsarchiv Ritzebüttel I Fach 13 Vol B Fasc 2 Dok 133, Abendroth an Hartung, 22.8.1831.
[13] Abendroth: Wünsche, S. 30.
[14] Bartels: Briefe, Bd. 3, S. 325.
[15] Bartels: Briefe, Bd. 2, S. 171.
[16] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 7, Kammerrat Jung an Bartels, 20.12.1790.
[17] Verhandlungen und Schriften, Bd. 2 (1793), S. 382.
[18] Abendroth: Wünsche, S. 120f.
[19] Abendroth: Wünsche, S. 121.
[20] Meyer: Darstellungen, S. 336f.
[21] StAHH, Familie von Voght Caspar von Voght I 39, Abendroth an Voght, 19.4.1835.
[22] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III e 1 b, Tagebuch 3.5.1786.
[23] Günther: Erinnerungen, S. 324.