Dies ist Teil 4 der Aufklärung in Hamburg: Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und die Verbesserung einer kleinen Republik 1790–1835. Die Aufklärung in Hamburg hat ihre eigene Homepage, which you can also read in English. Die Einleitung beschreibt, worum es geht, und wer einen Überblick über die bisher veröffentlichten Kapitel haben möchte, klickt bitte hier.
Religion und Philosophie zündeten politische Parteibildung. Dazu trugen besonders die Freimaurer bei. Sie waren radikale Anhänger von Reform und Verbesserung. Johann Heinrich Bartels stieß in Göttingen dazu, 1784 wurde er Meister.[1] Das bildete und man traf berühmte Leute, mit denen man gegebenenfalls auch etwas angeben konnte. Ich hätte gern in der Versammlung sein mögen, als Bode, Knigge, und Seckendorff da waren.[2] Das schrieb ihm ein wenig neidisch sein alter Hamburger Freund Cornelius Ridel, später Kammerherr in Weimar, denn die drei Versammlungsbesucher, die Bartels kennengelernt hatte, gehörten zur literarischen Prominenz des 18. Jahrhunderts. Karl Siegmund von Seckendorff war Schriftsteller, Komponist und Directeur des plaisirs am Hof Carl Augusts von Sachsen-Weimar. Johann Joachim Bode hatte als Hamburger Verleger von Matthias Claudius[3] und Lessing erheblichen Bekanntheitsgrad erreicht und schrieb über alles, von der Landwirtschaft über das Ballett bis zur Pockenschutzimpfung.[4] In Weimar zelebrierten Seckendorff und Bode mit Goethe Geniekult und spielten bei Fackelschein Theater im Wald.[5] Der dritte war Adolph Freiherr Knigge, der dem Bürger tugendhaft-progressives Benehmen nahebringen wollte, von zukünftigen Generationen aber gründlich missverstanden wurde. Ein paar Jahre später tauchte dieser Beförderer der humanen Sitten beim Revolutionsfest des Hamburger Handelsmagnaten Georg Heinrich Sieveking in Harvestehude an der Alster auf. Alle drei gehörten zum Illuminaten-Orden, gegründet 1776 in Ingolstadt und selbstredend hochgeheim, der durch Aufklärung die Herrschaft von Menschen über Menschen überflüssig machen wollte. Es handelte sich um eine optimistische Tugendveranstaltung erster Klasse.
Illuminaten waren folglich der Schrecken aller Konservativen. Ihnen haftete etwas von Verschwörung und Revolution an. Man traf sie auch in Italien, wohin Kandidat Bartels sich kurz nach seinem ersten Göttinger Studium und einigen eher im Sande verlaufenen Berufsübungen zur Vertiefung und Erweiterung seiner Bildung aufgemacht hatte. Der politische Wind drehte gerade, Widerstand gegen die Verbesserung der Welt setzte ein und die Reaktion schreckte auch vor Repression nicht zurück. Die illuminatische Prominenz war auf der Flucht, so auch Constantin Costanzo. Bartels traf ihn eines Abends im Mai 1786 in einer Freimaurer-Loge in Rom, im Zentrum der katholischen Rechtgläubigkeit.[6]
Dieser Graf Costanzo kam aus München und zählte zu den führenden Illuminaten Bayerns. Mittlerweile aber hatte der dortige Kurfürst den Orden verboten. Das war das Thema einer sehr angriffslustigen Rede, die Bartels für den Abend mit Costanzo vorbereitet hatte. Er kam, so meinte er über den flüchtigen Grafen, also aus einem Lande wo Aberglaube und Dumheit dem Regenten das Recht gab – Dinge zu verbiten die Segen über sein Land ausbreiten würden … Ich nahm daher Gelegenheit von der Frage zu reden: Ob es weise und gerecht von einem Regenten gehandelt sei Maurerei zu verbiten: und ob der Regent überhaupt Maurerei verbiten könne.[7] Das Publikum war wahrscheinlich wenig überrascht, dass Kandidat Bartels dem bayrischen Regenten in dieser lauen römischen Nacht Kompetenzüberschreitung und Machtmissbrauch vorwarf. Zu ändern war daran aber vorläufig wenig, es gab auch noch andere Probleme.
Abgesehen von der großen Politik litten die Logen unter menschlichen Unzulänglichkeiten. Kurz vor seinem Grundsatzreferat gegen reaktionäre Maurerverbote hatte sich Bartels mit Herrn Hundlinger gequält. Der wollte unbedingt maurerische Karriere machen und vom Künstler zum Meister befördert werden, war aber ein hoffnungsloser Fall. Bartels bereitete ihn vor - und verzweifelte. Deutliche Begriffe, Kraft ihre Ideen mitzutheilen vermißt man bei den Menschen ganz. Insbesondere eben bei Herrn Hundlinger. Der gröste Theil von den Künstlern kann sich daher gewiß nie übers mittelmäßige hinausschwingen – er arbeitet wie eine aufgezogene Maschine fort, denkt nicht selbst und gehört daher mit zu dem Tros der Alltagsseelen. – Ich fragte über Zwek der Maurerei, liblings Neigung und dergleichen verschidene Dinge und auch nicht eine befridigende Antwort und einen deutlichen Begrif erhielt ich von ihm. Gott in der Natur zu studiren schien die Sache zu sein die wenngleich dunkel in seiner Seele lag ihn am mehrsten beschäftigte – und das drückte er mir aus: Man mus so – ich kann es nicht sagen – man mus – (hier stekte er wieder dann drükte er es endlich heraus) – die Denkungs Art der Thiere studiren.[8] Das war sicherlich eine etwas überraschende Form der natürlichen Religion. Bartels und sein Freund Friedrich Münter, der auf Kosten des dänischen Königs unterwegs war und es 1808 immerhin zum Bischof von Seeland und Primas von Dänemark brachte, übergingen es taktvoll und wendeten sich der Transparenz zu, die einsichtsvolle Denker auch im 18. Jahrhundert schon für nötig hielten. Münter machte seine Sache heute sehr gut: die Uebersicht die er von den 3 Graden den Neuaufgenommenen gab war in zwekmäßiger Kürze und zeigte einen Zusammenhang des Ganzen, der nothwendig … gegeben werden mus, und der in allen andern Logen gewöhnlich versäumt wird. … Hernach hielt ich meine Rede – worin ich vil über Vorurteile Aberglaube Regentendumheit u.s.w. sprach und es freute mich zu sehen, daß dem Grafen meine Rede gefiel.[9] Bartels vermutete übrigens die Jesuiten hinter der ganzen Geschichte, das sah der aufgeklärten Intelligenz ähnlich.[10]
Transparenz ging den meisten Logen in der Tat ab. Geheimnisvolle Zeremonien stifteten bei den Neuen auf den unteren Etagen Verwirrung. Bartels und Münter fanden das unzweckmäßig und sorgten beim Fußvolk für populäre Aufklärung.[11] Populär, jedoch ohne die Hierarchie aufzugeben. Denn was sollte der maurerische Verein mit Herrn Hundlinger anfangen, ungeübt im freien Denken und gehemmt im Ausdruck? Selbst denken sollte der Mensch. Aber wenn er es nicht konnte, und dafür gab es ja schlagende Beispiele, dann musste er geführt werden. Das forderte geradezu die Vernunft. Hierarchien waren für die Erziehung des Menschen also auf absehbare Zeit unersetzlich, eine Einsicht, die auch für das heimische Staatswesen an der Elbe brauchbar war. Aristokratische Republik und aristokratische Demokratie, die Herrschaft der Besten jedenfalls, das schwebte vielen republikanischen Bürgern, besonders den einflussreicheren, in Hamburg vor.
Auch Ferdinand Beneke wusste nicht genau, was los war, und wollte der Sache auf den Grund gehen.[12] 1793 schloss er sich in Halle den Freimaurern an.[13] Sie erklärten die Welt. Wie sah sie aus? Geheimnisvoll und undurchsichtig. Der Kosmos, so spekulierte Beneke, pulsierte in ewigem Werden und ewiger Auflösung, ein Konglomerat von Atomen, ohne Ende, ohne Anfang, ohne Grenzen. Grobe Atome mutierten zu höheren, verfeinerten Erscheinungsformen und stiegen von den Mineralien über die Pflanzen und Tiere bis zum Menschen auf. Dann zerfielen sie wieder zu Staub, Luft, Feuer und Wasser. Beneke glaubte, dass sich ein kleiner Teil der menschlichen Materie in der Seele zu einem feinen Stoff läutere, der nach dem Tod als Geist im Äther zerfließen und sich mit dem Geist anderer Menschen vereinigen würde. Jahrhunderte strömen schnell ins Meer der Ewigkeit, und der Geist – wird ein Ring in der Kette höherer Wesen, ein handelndes Mitglied der – kühn spreche ich es aus – der Vorsehung. Diese hüllt sich im Nebel des Unerreichbahren.[14] In der nebelhaften Sphäre der Vorsehung setzte sich der Wettkampf der Geister im Ringen nach Vollkommenheit fort.
Solche Vorstellungen waren irgendwie materialistisch und rational, dann aber auch wieder mystifizierend, denn es kamen hier die geheimen Oberen ins Spiel. Sie hatten sich der Welt der Geister so weit genähert, dass sie Einsicht in die Geheimnisse der Natur und in die Ziele der Vorsehung nehmen und sie in die humane Sphäre vermitteln konnten. Diese Führer standen an der Spitze der Maurer. Der charakteristische Zweck der Maurerey ist, ein Mitglied der unbekannten Oberen zu werden – der Zweck der geheimen Obern ist – der Zweck der Vorsehung!!! oder die geheimen Obern sind Mittelspersohnen, durch welche die Vorsehung (oder die Geister) auf die Menschen würkt, ihre Pläne realisirt, und so ihre mittelbahre Direkzion des Fatum’s führt.[15] Aber wer waren die Direktoren des Schicksals? Niemand wusste es, Beneke schon gar nicht, sie waren ja geheim. Vielleicht Illuminaten oder Rosenkreuzer? Schon diese Frage war etwas eigenartig, da die Rosenkreuzer zwar Freimaurer, aber in mancher Hinsicht das genaue Gegenteil der Illuminaten waren.[16] Oder vielleicht gar die Jesuiten? Bei der allgemeinen Geheimniskrämerei kam jeder irgendwann auf die Jesuiten. Aber Beneke beruhigte sich und tippte eher auf äußerlich ganz durchschnittliche Menschen. Gleichzeitig Staatsmann und geheimer Oberer zu sein überfordere doch wohl die menschliche Spannkraft.[17] Auf jeden Fall standen diese geheimen Oberen an der Spitze der Maurerei, ihnen schuldete er Gehorsam.
Aber war das nicht alles viel zu konstruiert und ausgedacht? Ein paar Jahre später in Hamburg gründete er mit Freunden einen philosophischen Debattierklub und trug dort sein Glaubenssystem vor. Eine Reaktion der Zuhörer überlieferte er nicht. Ganz sicher war er sich vielleicht selbst nicht mehr, sprach von metaphysischer Wahrscheinlichkeit, führte das Thema aber nicht weiter aus, sondern ging zu einem fidelen Abend bei Senator Franz Lorenz Gries.[18] Ebenso wie Beneke in Hamburg wartete in Berlin Friedrich Wilhelm II., der preußische König, auf Nachrichten der geheimen Oberen.[19] Die konkurrierenden Hofparteien sorgten dafür, dass sie nicht ausblieben – Ancien Régime, wie es im Buche stand, ein Machtkampf zweier Okkultistencliquen mit unglücklichen Folgen für das wirkliche Leben.
Für Beneke hatten die Logen dann aber doch eine praktische Seite. In Hamburg begleitete er seinen Freund Jean Henri de Chaufepié, den Arzt, in die Loge Emanuel an der Drehbahn. Schauspieldirektor Friedrich Ludwig Schröder, der Meister vom Stuhl, redete gerade philosophisch und eindringlich. Ferdinand Beneke aber kümmerte sich lieber um nützliche Bekanntschaften, Otto von Axen zum Beispiel, seinen zukünftigen Schwiegervater, den Händler eleganter und technisch ausgereifter Möbel.[20] Später kühlte sein Verhältnis zur Maurerei ab und wurde konventionell. Die Sache war ihm gleichgültig geworden, Essen, und Trinken verflucht schlecht, und das Ritual mir fatal.[21] Ende 1802 trat er aus – mit einer sehr bürgerlichen Begründung. Da ich nicht hingehe, so kann ich die Geldbeyträge sparen.[22]
Die Abkürzungen StAHH, StAB und StACux beziehen sich auf Bestände der Stadt- und Staatsarchive von Hamburg, Bremen und Cuxhaven; die Fußnoten auf die Literaturliste.
[1] Beneke: Bürgermeister, S. 8.
[2] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 6, Ridel an Bartels, 29.3.1783. Für das Wort Versammlung steht im Brief ein Zeichen.
[3] Geck: Claudius, S. 45f.
[4] Böning: Presse, S. 91f.
[5] Böttiger: Zustände, 1838, Bd. 1, S. 22f.
[6] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III e 1 b, Tagebuch, 3.5.1786.
[7] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III e 1 b, Tagebuch, 3.5.1786.
[8] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III e 1 b, Tagebuch, 3.5.1786.
[9] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III e 1 b, Tagebuch 3.5.1786.
[10] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III e 1 b, Tagebuch 5.5.1786.
[11] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III e 1 b, Tagebuch 3.5.1786.
[12] Beneke: Tagebücher, Bd. I/4, S. 81–102.
[13] Beneke: Tagebücher, 23.6.1793, 2.8.1793.
[14] Beneke: Tagebücher, Bd. I/4, S. 92.
[15] Beneke:Tagebücher, Bd. I/4, S. 99.
[16] Beneke: Tagebücher, Bd. I/4, S. 98f.
[17] Beneke: Tagebücher, Bd. I/4, S. 100.
[18] Beneke: Tagebücher, 21.11.1797.
[19] Horowski: Europa, S. 957–961.
[20] Beneke: Tagebücher, 12.5.1796.
[21] Beneke: Tagebücher, 6.4.1799.
[22] Beneke: Tagebücher, 1.11.1802.