9. Ein Besuch im Theater
... mit neuer Gluth für Tugend und Edelsinn verließ ich das Schauspiel
Dies ist Teil 9 der Aufklärung in Hamburg: Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und die Verbesserung einer kleinen Republik 1790–1835. Die Aufklärung in Hamburg hat ihre eigene Homepage, which you can also read in English. Die Einleitung beschreibt, worum es geht, und wer einen Überblick über die bisher veröffentlichten Kapitel haben möchte, klickt bitte hier.
Unterhaltsamer als die Literatur war das Theater. Auf dem Zimmer zu sitzen war langweilig, also steuerte Bartels schon als Student aufgeregt das nächste Schauspielhaus an. Im Frühling 1781 unternahm er von Göttingen aus einen Besuch in der Großstadt Leipzig. Besonders viel Vergnügen, schrieb er umgehend seinem Vater, machte mir die Schauspieler Gesellschaft in Leipzig – ich kann es nicht leugnen, schon recht lange hatte mich nach einer guten Comödie gehungert (das provinzielle Göttingen hatte in dieser Hinsicht nichts zu bieten), und nun fand ich da eine der vorzüglichsten die eben zu der Zeit die vortrefflichsten Stüke gab – Agnes Bernauerin habe ich dort gesehen – … Dies besonders hat alle meine Erwartung übertroffen.[1]
Die Agnes Bernauerin war das Erfolgsstück des Jahres 1781. In Hamburg, Mannheim, Berlin, Dresden und Leipzig stand es auf den Spielplan. Sehr realistisch am historischen Vorbild des 15. Jahrhunderts orientiert, hatte Joseph August von Toerring das Leben der Agnes Bernauer als Trauerspiel in fünf Akten dramatisiert. Die Handlung: Der Sohn eines bayrischen Herzogs verliebt sich in eine junge Frau aus dem Volk, aber es geht nicht gut aus, die Geliebte wird zum Opfer einer Staatsintrige und auf Befehl des Herzogs in der Donau ertränkt. Das bot Stoff für effektvolles Theater, konnte auch kritisch-politisch interpretiert werden. Der regierende bayrische Herzog Karl Theodor verbot die Aufführung des Stücks in München. Es zeigte die adlige Elite des bayrischen Staats in allzu ungünstiger Beleuchtung, bürgerliche Empörung war voraussehbar. Sie trat denn auch ein.
In Hamburg regten sich die Zuschauer derartig über die Ungerechtigkeiten auf der Bühne auf, dass der Regisseur den Hauptbösewicht gleich mitertränkte. Die erste Aufführung hatte in privatem Liebhaberformat unter der Direktion des Multitalents Caspar Voght stattgefunden.[2] Johann Heinrich Bartels liebte das Stück, die wütende und seufzende Empörung im Parkett. Das Publikum fühlte mit und staunen wollte es auch, so war die Zeit. Johann Heinrich Bartels jedenfalls war ein Freund von Special Effects aller Art, Blitzen und Krachen hob die Unterhaltung. Ärgerlich war es, wenn die Schauspieler auf der Bühne herumstanden und deklamierten, ohne dass etwas passierte. Der Abend war verdorben, für Bartels zumindest. Wüsten doch die Leute wie viel durch gute Maschineri das Theater gewinnt und wie ohne dies alle Illusion wegfällt … ein großer Theil meines Vergnügens ist fort, wenn dies fehlt.[3] Der amüsierbereite Besucher wollte sich das Vergnügen nicht durch überzogene intellektuelle Ansprüche eines reinen Sprech- und Denktheaters verderben lassen
Im Gegensatz dazu setzte Dr. Beneke auf die sittigende Kraft der Bühne. Bloße Unterhaltung reichte ihm nicht. Die Dramen von August von Kotzebue, stark präsent im Hamburger Repertoire, waren ihm ein Dorn im Auge. Kein heroischer Kampf zwischen Tugend und Lastern, überall seichte Anzüglichkeiten, viele unschuldige junge Leute gehen sicherlich mit erregtem Geschlechtstriebe aus dem Hause.[4]
Anders ein Iffland-Stück, das im Frühjahr 1796 auf dem Spielplan stand, eine Spielergeschichte. Beneke war stark erschüttert, er kannte die Misere von Freunden und musste weinen. Das Stück wusste aber einen Ausweg, der diesen Zuschauer befriedigte und für den schnöden Alltag stärkte, mit neuer Gluth für Tugend, und Edelsinn verließ ich das Schauspiel.[5] Der Anspruch hatte allerdings seine Grenzen. Die zeigten sich bei einer Aufführung des Kaspar Thorringer. Autor war jener Joseph August von Toerring, von dem auch die Agnes Bernauer stammte. Direktor Friedrich Ludwig Schröder, in jeder Hinsicht der Star des Hamburger Gänsemarkt-Theater, stand selbst auf der Bühne, ein Genuss wie immer, aber das Stück gefiel Beneke wegen seines steilen Anspruchs nicht, es war ihm zu politisch. Elende, schimmernde Grundsätze, als ginge Vaterlandspflicht, über die ewigen, süßen Pflichten der Natur, als müße Thorringer sein edles Weib, und sein Kind aufopfern, um seinen wohlmeinenden Plan mit Bayerns Verfassungsänderung durchzusetzen. Dreymahl verfluchte Täuschung, daß man Bürgergröße auf den Trümmern der Natur, und der Menschlichkeit erreichen könne! O wie viel Elend ist durch diese Verblendung über die Erde verbreitet worden.[6]
Die Ansicht, dass alles Private auch irgendwie politischen Charakter habe, war ihm fremd, mehr noch, er fand sie gefährlich, eine Anmaßung der Politik. Sie hatte im bürgerlichen Familienleben nichts verloren. Im Programm der Hamburger Bühnen gab es aber immer wieder Lichtblicke für ihn, eine Aufführung von Schillers Maria Stuart zum Beispiel. Oft faßt das Herz die Fülle nicht, und das Auge leitet das Uebermaaß ab in der Gestalt der Thrähnen.[7] Nur hatte die Hamburger Gesellschaft der Geschäftsleute an und für sich kein besonderes Talent für Rührung. Tatsachen waren ihr lieber und die fand sie in den praktisch anwendbaren Naturwissenschaften des Messens und des Beobachtens.
Die Abkürzungen StAHH, StAB und StACux beziehen sich auf Bestände der Stadt- und Staatsarchive von Hamburg, Bremen und Cuxhaven; die Fußnoten auf die Literaturliste.
[1] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 1, Bartels an seinen Vater, 8.5.1781.
[2] Voght: Lebensgeschichte, S. 45.
[3] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III e 1 b, Tagebuch, 20.11.1785.
[4] Beneke: Tagebücher, 27.8.1799.
[5] Beneke: Tagebücher, 19.5.1796.
[6] Beneke: Tagebücher, 7.2.1798.
[7] Beneke: Tagebücher, 6.11.1801.