2. Bildungshorizonte
Von ländlichen Akademien, strengen Vätern und britischen Prinzen an deutschen Universitäten
Dies ist Teil 2 der Aufklärung in Hamburg: Johann Heinrich Bartels, Amandus Augustus Abendroth, Ferdinand Beneke und die Verbesserung einer kleinen Republik 1790–1835. Die Aufklärung in Hamburg hat ihre eigene Homepage, which you can also read in English. Die Einleitung beschreibt, worum es geht, und wer einen Überblick über die bisher veröffentlichten Kapitel haben möchte, klickt bitte hier.
Ende des 18. Jahrhunderts war es schön jung zu sein. Die Welt klärte sich auf. Die Jugend hatte das deutliche Gefühl, dabei nützlich zu sein. Man versammelte sich im Freundeskreis, wagte einen Blick in die Zukunft und erkannte viel Gutes. Die Vernunft war noch nicht bei terroristischen Revolutionen verunglückt. Auf dem Weg der rationalen Erkenntnis schien alles möglich, insonderheit die Vermehrung des Guten und die Verbesserung der Welt. Zu denen, die sich darauf freuten, gehörten Johann Heinrich Bartels und seine Freunde. Wir waren … ein Herz und eine Seele, so beschrieb er den jugendlichen Aufbruch, wir theilten uns alle wechselseitig unsre Gefühle mit, wir lebten ein Leben, das auf Gottes Erde nicht schöner sein könnte: wir entwarfen Pläne für die Zukunft, sprachen über die Bedürfnisse der Menschen, suchten nach den besten Mitteln, wie denen aufzuhelfen und überhaupt wie mehreres Gute, und schworen uns brüderlich einander bei unserer künftigen Thätigkeit die Hand zu reichen.[1] Die Hamburger Freunde der Aufklärung waren etwa gleichaltrig, geboren um 1760. Dazu gehörten Christian Martin Hudtwalcker, Cornelius Johann Rudolph Ridel und Hermann Dieterich Reimarus, Letzterer Sohn des berühmten Professors Johann Albert Heinrich Reimarus. Viel mehr Aufklärung in nächster Nähe war schwer möglich. Das Leben ein blühendes Projekt der Freundschaft und der Verbesserung. Siegende Vernunft und humanitäres Hochgefühl bestimmten den Zeitgeist. Man war schnell bei der leidenden und zu rettenden Menschheit.
Dabei stammte Bartels eigentlich aus ziemlich bodenständigen Verhältnissen. Claes Bartels, der Vater, 1728 geboren, war Unternehmer, Lokalpolitiker und Sozialreformer. 1752 gründete er seine Zuckersiederei am Rödingsmarkt. Hart arbeitende Kleinbürger nannte Helen Liebel, kanadische Kennerin der Hamburger Sozialgeschichte, die Zuckerfabrikanten.[2] Einzelne von ihnen konnten darüber hinauswachsen. Die Republik nahm sie als Mittelstand wahr,[3] und Claes Bartels’ Sohn Johann Heinrich kam später als Bürgermeister oft und gern auf seine Herkunft aus mittelständischen Verhältnissen zu sprechen.[4] Die loyale Mittelklasse fühlte sich geschätzt und republikanisch integriert und das war auch seine Absicht. Claes Bartels hatte Erfolg und zog an den Kehrwieder. Zuckerverarbeitung war eines der wichtigsten Gewerbe der Stadt. Um 1800 beschäftigten mehr als 400 Unternehmen dieser Branche an die 5.000 Arbeiter.[5] Man konnte viel Geld verdienen. Die Firmen waren klein, auch die größeren hatten nur 12 bis 16 Mitarbeiter, manchmal arbeitete der Patron allein mit seiner Frau.[6] Der Zucker trieb die große europäische Konsumrevolution an. Die Liebhaber von Kuchen und süßem Kaffee konnten nicht genug davon bekommen. In Frankreich verzehnfachte sich der Pro-Kopf-Verbrauch, in England bildete Zucker zwischen 1750 und 1820 den größten Importposten des Handels.[7] Als Rohstoff erreichte er aus Haiti oder Barbados via Bordeaux und London die Hamburger Raffinerien. Die verarbeiteten ihn zu Zuckerhüten für den Endverbraucher und belieferten damit den nordeuropäischen Markt bis nach Russland. So sah die Welt des Unternehmers Claes Bartels aus. Er schickte seinen Sohn auf die Universität und finanzierte ihm eine Reise durch Italien, denn Johann Heinrich sollte es besser haben als der Vater. Claes Bartels verfügte eher über eine lebenspraktische Bildung. Aber auch er wollte nicht im Kommerz versumpfen. Das Geschäft florierte, es folgte das gemeinnützige Engagement in der Kommune. Claes Bartels’ politische Karriere begann unspektakulär, wie es in der Republik üblich war, mit der Wahl an die Bierakzise, wo die Bürger die Besteuerung ihrer Getränkeindustrie organisierten. Ämter von ähnlichem Kaliber folgten, Mehlkauf, Brotordnung, Kalkhof, was die städtische, Selbstverwaltung zu bieten hatte. 1763 wurde er in die Nikolaikammer, eine der fünf Kirchspielskammern der Bürgerschaft gewählt, 1797 in ihr Präsidium. Das Interesse des Zuckerfabrikanten Claes Bartels aber galt dem Fortschritt. Er war 1788 einer der Gründer der Armenanstalt, die nichts weniger als die Abschaffung der Armut in ihr Programm geschrieben hatte, er reformierte und modernisierte milde Stiftungen und trug dazu bei, den Typus des gemeinnützigen Unternehmers in Hamburg zu prägen. Er verkörperte den aufgeklärten Patrioten, den die progressive Bürgergesellschaft der Republik liebte und respektierte
Johann Heinrich Bartels wurde am 20. Mai 1761 als zweites von sieben Geschwistern geboren.[8] Als sein Vater im September 1774 ein zweites Mal heiratete, brachte seine neue Frau Maria Beata, verwitwete Meyer, weitere fünf Kinder mit. Am Ende beherbergte das Haus am Kehrwieder also ein rundes Dutzend Geschwister.[9] Die Familienfusion war ein Erfolg. Johann Heinrich hatte es besonders gut. Er war der Liebling seiner Stiefmutter, so erinnerte er sich später gern im Familienkreis.[10] Die neuen Familienmitglieder brachten Verwandtschaft aus dem großen Clan der Meyers mit. Das waren oder wurden illustre Leute, darunter drei Söhne des Weinhändlers Johann Lorentz Meyer: Johann Valentin Meyer aus der Katharinenstraße, aktiv in der Patriotischen Gesellschaft und ab 1800 Senator der Republik;[11] Daniel Christoph Meyer, Weinhändler und Generalkonsul in Bordeaux, in dessen Haushalt 1801 für kurze Zeit sehr unglücklich und verwirrt der Dichter Friedrich Hölderlin lebte;[12] und Friedrich Johann Lorenz Meyer, baldiger Dr. jur. und Chef der Patriotischen Gesellschaft, einer der Führer des aufgeklärten Hamburg. Mit ihm freundete Johann Heinrich sich besonders an. Idyllische Erinnerungen verbanden sie. Der zukünftige Dr. Meyer verbrachte seine Jugend auf dem Lande vor dem Dammtor, ruderte bei Sonnenaufgang auf der Alster, las draußen im Grünen Klopstock, Ossian und Hagedorns Liebeslieder.[13] Einer seiner Lehrer war Johann Christian Meier, später – als Vorgänger des berühmten Homer-Übersetzers Johann Heinrich Voß – Rektor der Otterndorfer Lateinschule und Pastor in Schneverdingen. Er führte seinen Schüler in das so genussvolle Studium der Griechen ein.[14]
Auch der junge Bartels bildete sich im Grünen. Der dichtende Rellinger Pastor Christian Wilhelm Alers kümmerte sich ein paar Kilometer vor Hamburg in gesunder Landluft um die Erziehung vieler Meyer-Kinder, heiratete ein Mädchen aus dem Clan[15] und leitete ein paar Jahre lang auch Bartels auf seinen Wegen in die Welt. Der hatte Ostern 1775 das Johanneum verlassen und sollte sich den letzten Schliff in einem progressiven Institut auf dem Lande holen. Es ging nicht nur um die gute Luft, sondern um sehr viel klassische Bildung. Der ganze Kosmos des antiken Wissens und Denkens stand in Rellingen auf dem Programm. Für den Schüler Bartels, dem die Philosophie nicht in die Wiege gelegt worden war, ein Glücksfall. Lebendige Bildung erschloss ihm die Welt jenseits der Zuckerraffinerien. Der 15-Jährige beschäftigte sich mit Cicero.[16] Populi Romani res propria est libertas,[17] Freitheit ist die ganz eigene Sache des römischen Volkes, so zitierte er noch als Bürgermeister gerne. Die Nutzanwendung der Freiheit war auch für den Bewohner einer neuzeitlichen Kleinrepublik von Interesse, je revolutionärer die Zeiten wurden, desto mehr. Dazu kam angewandte Poesie, idyllisch und angereichert mit dem hohen Anspruch, die Gesellschaft zu verbessern. Das erste Gedicht des Eleven Bartels richtete sich An die Tugend,[18] von der die Aufklärer ja wahre Wunder erwarteten.
Pastor Alers – ländlich, sittlich – rechnete sich in aller Bescheidenheit zur intellektuellen Avantgarde, der Weltweisheit Doctor und Pastor zu Relling nannte er sich.[19] Er diskutierte gern – sowohl mit den Schülern wie auch mit seiner Frau. Die gesellige Bildung beruhte auf Gegenseitigkeit. Aus Hamburg schickte Bartels Lesefrüchte, Gotthold Ephraim Lessings Nathan zum Beispiel. Der Text machte dort gerade Furore.[20] Der literarisch interessierte Schüler, 18 Jahre alt, war begeistert. Der Pastor und seine Frau studierten – und kritisierten. Ihr Nathan unterhält sich izt mit meiner Frau, schrieb ihm Alers 1779. Ich möchte ihn in manchen Stücken lieber ‚Nathan den Listigen‘ als ‚Nathan den Weisen‘ nennen. Das klang etwas skeptisch. Jeder war stolz auf die eigene Meinung, die Leuchten der Aufklärung standen nicht unter Denkmalschutz. Vom Pastor und seiner Frau kamen Lektüretipps. Vergessen Sie nicht die Sophie von Hermes zu lesen.[21] Johann Timotheus Hermes’ Sophiens Reise von Memel nach Sachsen war ein Bestseller des 18. Jahrhunderts, ein Roman, in dem die reisende Sophie in fünf Bänden und nach vielen pädagogischen Ermahnungen trotzdem am Laster der Sprödigkeit scheitert. Der Hamburgische Correspondent hatte es gerade wegen der vorkommenden guten Lehren[22] moralischer Art gelobt. Lehrer Alers und Schüler Bartels standen literarisch auf der Höhe der Zeit. Manchmal überwog die Neigung zur Literatur das Interesse an der Theologie. An Monsieur J. H. Bartels, Etudient en belles lettres, den Studenten der schönen Literatur, adressierte der erziehende Freund und Pastor die ersten Briefe. Das änderte sich, als die Frage nach dem Beruf auftauchte. Machen Sie die Religion Jesu, so wie sie aus der Quelle ihres Urhebers fließt zur ersten Wissenschaft Ihres Verstandes, und die Ausübung derselben zur ersten Regel Ihres Willens![23] Das schrieb Alers nun an den Etudient en Theologie, den Studenten der Theologie, der dabei war, nach Göttingen aufzubrechen. Ein klarer Appell zum vernünftigen Studium der Bibel.
Aber gegen allzu viel Vernunft im Glauben gab es Widerstände. Das aufgeklärte Idyll zeigte Risse – schon vor dem Bildungsaufenthalt auf dem Lande. Als Kind hatte Bartels einen Hauslehrer, der hieß Ernst Hinrich Lofft.[24] Dessen Vater war Küster, er selbst hatte Theologie studiert. Seine Vorliebe hingegen galt dem klassischen Altertum sowie der Mathematik – Mathematik zum Nuzen und Vergnügen des bürgerlichen Lebens.[25] Nach dem Studium verdiente er sein Geld als Privatlehrer. Diese Tätigkeit hieß damals „Informieren“.[26] Loffts Bewerbungen um verschiedene Pastorate und eine Professur am Akademischen Gymnasium schlugen fehl, wahrscheinlich aufgrund seiner aufgeklärten Ansichten. Die waren nicht ungefährlich. Auf der Straße wurde der Kandidat von Arbeitern als Bibelverdreher mit Steinwürfen attackiert.[27] Die rüstigen Werktätigen waren offenbar gegen den theologischen Fortschritt, ebenso wie Dr. Johann Melchior Goeze, Pastor von St. Katharinen. Dieser Großmeister der Orthodoxie verlangte von Lofft eine Erklärung bibeltreuer Rechtgläubigkeit. Er weigerte sich – Ende der Karriere. Lofft schickte dann melancholische Briefe an die alten Freunde, an Dr. Meyer von der Patriotischen Gesellschaft zum Beispiel.[28] Der Parteigeist spielte also seine Rolle. Orthodoxe gegen Aufklärer hieß die Konstellation. Pastor Goeze hatte sich durchgesetzt. Wirklich bemerkenswert war aber, dass auch am Ende des aufgeklärten Jahrhunderts die Orthodoxie mit Steine werfendem Volk für die Verteidigung des alten Glaubens rechnen konnte. Die Weltverbesserung hatte ihre Gegner.
1780 begann Bartels mit dem Theologiestudium. Der Student interessierte sich darüber hinaus für alles Mögliche, für Geschichte, Kunst und Literatur.[29] Aber Göttingen war gewöhnungsbedürftig. Er hatte wohl etwas Heimweh nach Freunden und Familie und bat seinen Vater, Ostern 1781 ein paar Tage in Hamburg verbringen zu dürfen. Üblich war das nicht. Nach Ansicht von Sohn Johann Heinrich änderte sich das aber gerade. Es sei doch izt beinah schon Mode geworden, daß die Söhne ihre Aeltern besuchen, schrieb er nach Hamburg.[30] Vater Claes war skeptisch. Von der Meinung der Professoren, die angeblich den einen oder den anderen Heimatbesuch empfahlen, ließ er sich auch nicht beeindrucken und weigerte sich.
Aber was sollte der Theologe Bartels eigentlich nach seinem Examen machen?[31] Junge Theologen hatten in der Republik einiges auszustehen, so wie Ernst Lofft.[32] Sie waren Kandidaten, warteten auf eine Anstellung als Pastor, mussten aber irgendwie Geld verdienen. Faktisch schlugen sich viele als Hauslehrer durch. Sie informierten, so wurde es genannt. Seinem Vater erklärte er rundheraus, daß ich mir keine unerträglichere Lage denken kann als die des gewöhnlichen Informirens der hiesigen Kandidaten. Sie werden es selbst wissen, bester Vater, wie manche Ernidrigung sich so ein Mann oft gefallen lassen mus, so daß ich mich in meinem Leben gewis zu nichts weniger entschließen kann als mich so einer Ernidrigung nur auszusetzen.[33] Um der Erniedrigung zu entgehen, versuchte er es mit einer Abkürzung und bat seinen Vater 1785, ihn bei einer Pastorenwahl zu unterstützen. Gottfried Rüter war gestorben, Prediger an der Nikolaikirche. Das Projekt war ambitioniert. Pastor Rüter war einer der ranghöchsten Geistlichen der Republik – und einer der beliebtesten.[34] Aber der Plan schlug fehl. Die Theologie stellte sich für Bartels als Sackgasse heraus. Juristen hatten definitiv bessere Karrierechancen, auch bessere Heiratschancen. Kandidat Bartels richtete sich neu aus. Er schickte seine Lieblingsschwester Marianne vor, um den Vater auf den Wunsch seines lieben Sohns nach der Finanzierung eines Zweitstudiums vorzubereiten.[35] Auch auf seine Stiefmutter war Verlass.[36] 1787 begann Johann Heinrich mit dem Jurastudium in Göttingen.
Der wechselseitigen Mitteilung der Gefühle, die der junge Johann Heinrich Bartels so liebte, stand die ältere aufgeklärte Generation skeptisch gegenüber, Amandus Augustus Abendroths Vater zum Beispiel, der Gerichtsprokurator und Notar Abraham August Abendroth. Kurz nach 1780 rezensierte er die Neuesten Gedichte Christoph Martin Wielands in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek des Berliner Verlegers Friedrich Nicolai. Von diesem führenden Rezensionsblatt des aufgeklärten Deutschland wurden damals in Hamburg fast 200 Exemplare abgesetzt.[37] Vater Abendroths Urteil war auf dem Markt der Poesie also nicht ganz gleichgültig. Die Gedichte gefielen ihm nicht: Und sollten wir auch von dem neun und neunzigsten Theile der Genieinsekten eines zu dicken Sensoriums beschuldigt werden, so müssen wir doch zur Ehre der gesunden Literatur bekennen, daß wir nichts schönes, ja nicht einmahl etwas erträgliches in diesem Bändchen gefunden haben. Es folgte ein skandalöses Beispiel poetischer Lizenz, in dem halbentkleidete Personen mit Lust und nackter Brust eine gewisse Rolle spielten: Um allen Zweifel wegen unsers Urtheils zu heben, wollen wir nur ein paar Zeilen, wie sie uns in die Hände fallen, abschreiben. Z.B. S. 2 „Sie stunden da und sogen / mit ofner Brust, / Halbangezogen, / Den frischen Balsamduft / Der Morgenluft / Und sahn / So ihre Lust / Daran, / Wie Zweig an Zweig gebogen / Voll Blüthen hieng, / Und wie sie flogen, / So oft ein Lüftchen gieng.“ Nun! Ist’s genug? – Ich denke.[38] Der Rezensent war pikiert, das Thema gewagt, nichts für einen tugendfesten Aufklärer. Was hatte man sich unter einem Genieinsekt vorzustellen? Nichts Gutes. Mit dieser Haltung stand Abendroth senior nicht allein: Wollustsänger,[39] so wurde der beschwingte Wieland von der literarischen Konkurrenz beschimpft, und Friedrich Nicolai erklärte, dass die Romanliebe mit der Ehe aufhöre.[40] Nicht alle Aufklärer teilten diese erotischen Berührungsängste, auch in Hamburg nicht. Georg Heinrich Sieveking, Großkaufmann, Freund der französischen Revolution und Liebhaber von Luxus und Bürgertugend, hatte Wielands gesammelte Werke in seiner Bibliothek stehen.[41] Aber Vater Abendroth war ein wackerer Vernunftkämpfer der alten Schule, etwas trocken wie eben jener Berliner Nicolai, für den er rezensierte. Anzüglichkeiten und unterschwellige Wollust waren ihm scheinbar suspekt. Im literarischen Betrieb der aufgeklärten Magazine war dies nicht unbedingt ein Schaden. Jugendliche Verliebtheit stand unter Verdacht, gesunde Literatur hatte sich damit nicht zu befassen. Die Erziehung im Hause Abendroth fiel wohl etwas streng aus.[42]
In dieses literarisch und wissenschaftlich interessierte Hauswesen wurde am 16. Oktober 1767 Amandus Augustus Abendroth geboren. Die Erziehung war streng, aber sie öffnete auch den Blick in die Welt. Der weitete sich gerade dramatisch. James Cook und Georg Forster besegelten die Ozeane und vermaßen Land und Meer. Viel Stoff für die Phantasie eines Jugendlichen, der den Hafen vor Augen hatte. Genaueres über entfernte Gegenden war für Amandus Augustus in der väterlichen Bibliothek zu Hause am Hamburger Pferdemarkt[43] zu erfahren. Dort standen neben Elektrisiermaschinen und Fernrohren[44] die neuesten Werke zur Weltgeschichte, die lateinischen Klassiker der Zweibrücker Ausgabe, massive 165 Bände der Histoire et Mémoires de l’Académie Royale des Sciences und fast alle Botaniker von Wichtigkeit wie zum Beispiel der Hortus Amstelodamensis und Charles Plumiers Nova plantarum Americanarum genera.[45] Dort befanden sich aber vor allem in 13 Bänden über 1.300 Karten, die den Stand des geografischen Wissens zeigten.[46] Geistige Weltaneignung auf der Basis sachkundiger Information hat Franklin Kopitzsch das genannt.[47] Heute liegen diese Karten in der Hamburger Commerzbibliothek. Die weite Welt war für Abendroth Sohn noch unerreichbar, aber wer konnte wissen, was die Zukunft bringen würde? Er gelangte in seinem Leben immerhin bis nach Venedig, Paris und Brest, was ja auch nicht schlecht war. Der Hamburger Jugend gönnte er als Senator und Bürgermeister mehr, vielleicht ein Zeichen dafür, wie sehr die wissenschaftliche Erfassung der Ferne ihn selbst bewegt hatte. 1829 sorgte er nach Göttinger Modell für ein städtisches Reisestipendium. Grundlage der Finanzierung war eine Festschrift des Johanneums. Der Staat hat sie druken lassen, und so habe ich die Idee gehabt, ein grosses Stipendium Bugenhagium zu stiften, das so oft vergeben wird als wir 500 Taler haben, dann soll ein junger Mann davon reisen mit beendigten Studien.[48] Ein gutes Jahr später war wirklich einer unterwegs, der sogar weiter kam als geplant – nach Konstantinopel nämlich– er hat einen kleinen Abstecher dorthin von Neapel und Malta gemacht was ich ihm nicht verdenken kann, es ist dies etwas neues was nicht alle Leute gesehen haben.[49] In der Tat, Abendroth selbst kannte diese Orte nur von den Landkarten des väterlichen Wissenskabinetts, aber die Abenteuer des reisenden Doktors machten ihm sichtlich Freude.
Sein eigener Aufbruch in die Welt führte ihn zuerst an die Universität Erlangen. Sie hatte kaum 200 Studenten, auch war der Ort nicht ganz mit Konstantinopel zu vergleichen, dafür galt er als Sitz aufgeklärter Gelehrsamkeit. Zu den Professoren gehörte der Historiker Johann Georg Meusel. Er war ungeheurer produktiv, arbeitete mit an Wielands Teutschem Merkur und an Nicolais Allgemeiner Deutschen Bibliothek. Sein Hauptwerk war der Meusel, eine Enzyklopädie der deutschen Literatur mit mehr als 15.000 Schriftstellerbiografien. In Erlangen lehrte er Geschichte und führte dort die Statistik ein. Mit Spätfolgen. Als Gouverneur von Cuxhaven schaffte Abendroth die höflichen Neujahrswünsche ab – die albernen blossen Gratulationsschreiben[50] – und schickte stattdessen statistische Analysen über seine Provinz ins Hamburger Rathaus. In Erlangen hatte er es gelernt. Seit dem Frühjahr 1787 also studierte er dort Jura. Gern tat er es nicht. Das klang noch Jahre später an: Das Studium der Geschichte hat unendlich mehr angenehmes als die eigentliche Jurisprudenz so bald man würklich ernstlich sie studirt und nicht durch das bisweilen Glänzende der Jurisprudenz sich verblenden läst, allein es gehört ein eigentlicher esprit dazu.[51] Den Esprit billigte er sich selbst ohne Zweifel zu. Realistischerweise gehörte aber auch Vermögen dazu. Er hatte es nicht, und da mit historischen Studien aller Voraussicht nach kein bürgerlicher Haushalt zu finanzieren war, hatte die bisweilen glänzende Jurisprudenz dann doch einiges für sich. Der junge Karriereplaner durfte das nicht übersehen.
Ein Spaß war die Juristerei für Bartels und Abendroth nicht. Ich arbeite mich hier so tief in die Rechtsgelehrsamkeit hinein, daß ich izt den ganzen Tag nichts anders höre sehe und lese als Advokaten-Kram! Ein trokner elender, erbärmlicher Kram,[52] schrieb Student Bartels in mieser Stimmung. Dem Kommilitonen Abendroth, der nach einigen Semestern ebenfalls nach Göttingen wechselte und es dort immerhin zum Assessor des königlichen Instituts für Geschichte brachte,[53] ging es streckenweise wohl ähnlich. Er entschädigte sich aber mit ein paar Lachern, wozu Johann Stefan Pütter Anlass gab, einer der bedeutendsten Rechtsgelehrten seiner Zeit. Studenten hatten sich bei ihm auf gewisse Eigentümlichkeiten einzustellen Der selige Pütter in Göttingen hatte bei jeder praktischen Arbeit stehende Fehler, die immer gerügt wurden, sie mochten vorhanden seyn oder nicht.[54] Seine Gesellschaften gehörten zu den etwas steiferen Veranstaltungen. Sie ließen sich nicht leicht umgehen, da man Pütter, dem alten Orakel Deutschlands, seine Aufwartung machen musste. Sie waren eher eine Pflicht als eine Freude: Es scheint Mode zu seyn, vor dem Spiel a) sich nicht zu setzen b.) den Huth in der Hand zu halten, und c.) in dieser peniblen Stellung noch überdem mit einer Theètasse zu heranguiren.[55] So die Erfahrungen Ferdinand Benekes, der einige Jahre nach Bartels und Abendroth in Göttingen studierte.
Das gesellschaftliche Parkett in Göttingen war glatt, auf zierlich gehaltene Teetassen war zu achten, schließlich gab es britische Royals vor Ort. Zu den Kommilitonen der Hamburger Studenten gehörten die Söhne des Königs von England. Sie erregten allgemeines Aufsehen.[56] Die Hoheiten kannten Anfang 1789 kein brennenderes Thema als die Krankheit ihres Vaters, des Königs. Er war – nicht zum letzten Mal – vorübergehend regierungsunfähig. Premier William Pitt nutzte das machtbewusst aus und schob den Prinzregenten, den späteren Georg IV., unsanft zur Seite, denn der hätte ihn wahrscheinlich abgesetzt. Ein Gesetz verhinderte dies nun, und die interessierten Hamburger Studenten bekamen eine Gratisstunde in entschlossener Machtpolitik. Die Königlich englischen Prinzen hier in Göttingen, beschrieb Bartels seinem Vater aufgeregt die Lage, sind gar nicht mit der Einschränkung des Prinzen von Walis zufrieden. Der eine sagte mir gestern, Pitt hat schlecht gegen das königliche Haus gehandelt; wie ich ihm aber sagte: Pitt mus doch ein großer Mann sein: so stimmte er doch auch gerne hierin bei.[57] Student Bartels, Sohn eines Hamburger Zuckerbäckers, den hinter Wandsbek niemand mehr kannte, befasste sich mit Londoner Weltpolitik und wurde von veritablen Prinzen ins Vertrauen gezogen. Behauptete er jedenfalls. Manchmal allerdings fand er die Prinzen etwas ennuyierend.[58] Von Premierminister William Pitt hingegen war er stark beeindruckt. Er selbst war ein wenig älter als der Engländer und noch nicht einmal Doktor. Peinlich. Denk dir nur einmal einen Pitt in England im Vergleich mit mir, schrieb er Schwester Marianne, was für ein Hundsvott bin ich nicht gegen ihn, was hat er nicht schon gethan, wie hat er nicht schon die Verwundrung von ganz Europa auf sich zu ziehn gewust; und doch ist er noch ein Jahr jünger wie ich.[59] Aber daran ließ sich nun auch nichts mehr ändern. Immerhin war dieser Episode zu entnehmen, dass deutsche Universitäten, voran Göttingen, neben brillanter Wissenschaft viel Weltläufigkeit vermittelten, die für den Bürger von beschränkteren Mitteln ansonsten außer Reichweite lag. Für den Kandidaten Abendroth zum Beispiel, der ja auch zu Hause in Hamburg die Atlanten studiert hatte, aber die meisten Orte vorerst nicht erreichen konnte. Da war es praktisch, dass die Prinzen europäischer Großmächte ihre Ansicht der Weltlage in geselligen Runden an der Weender Straße in Göttingen entwickelten. Abendroth behielt die Studienjahre exakt aus diesem Grunde in guter Erinnerung und ließ nichts auf die deutschen Universitäten kommen. Unsere deutschen Universitäten sind von jeher immer die Institute gewesen von denen alle gelehrte Bildung ausgeht. Gott wolle nur bewahren, daß wir davon abgehen und sie auch nur für ein einziges Jahr entbehren sollen … Im Umgang mit so vielen sich dem Studium widmenden Jünglingen, in einem Alter wo man für alle Eindrücke weit empfänglicher ist als später, ist ein solcher Aufenthalt der Wissenschaft und Ausbildung von großem unersetzlichen Nutzen, da ja nicht alle jungen Leute die Möglichkeit einer weiteren Ausbildung durch Reisen sich zu verschaffen im Stande sind.[60]
1790 war die Zeit gekommen, an den Abschluss zu denken. Kandidat Abendroth legte ein Thesenpapier von beeindruckender Kürze vor, Thema die gerade aktuelle Frage des Reichsvikariats, die Frage der Vertretung eines verstorbenen deutsch-römischen Kaisers bis zur Wahl eines neuen also. Oder doch nicht? Um das Reichsvikariat ging es nur in der Überschrift. Die kündigte eine Dissertation an, die der gelehrten Welt in Kürze zu kommunizieren sei.[61] Darauf wartet sie noch heute. Die Thesen behandelten ganz andere, ökonomische Dinge: Konkurs, Nießbrauch, Zinseszins, Anfechtung und Gültigkeit von Testamenten – sehr gut passend zum Kandidaten und zu seinem zukünftigen Arbeitsfeld in der kaufmännischen Republik. Allzu prosaisch sollte es aber auch nicht sein. In These III wollte der progressive Student Abendroth mit seinen Prüfern über die Fortschritte diskutieren, die der Geist der Reform in die Juristerei brachte. Das sah ihm ähnlich. Er bestand, Zensur rite.[62] Er hatte sich auch keine große Mühe gemacht. Sein Freund Bartels scheint ihm die lateinische Rede zur Verteidigung seiner Thesen geschrieben zu haben.[63] Unüblich war das nicht. Prüfungen kamen in großer Gala und lateinischer Sprache daher. In Wahrheit waren sie ein abgekartetes Spiel – auch in Göttingen. Für sich selbst distanzierte sich Bartels von diesen Manövern: Morgen mit dem Schlage 10 Uhr steige ich aufs Katheder, schrieb der Kandidat einen Tag vor der eigenen Prüfung nach Hause, und halte eine lateinische Rede und dann beginnen 3 Herren mir Einwürfe auf lateinisch zu machen – diese mus ich alle beantworten und versteht sich in allen Sieger bleiben. – Diese ganze Sache wird gewöhnlich Komödie, man läßt sich das ganze machen lernts auswendig und damit ists vorbei. Von dergleichen Spiegelfechtereien aber bin ich ein großer Feind, ich mache alles selbst, und weis in dem Augenblik wenn ich hingehe, nicht was mir für Einwürfe gemacht werden. Um 12 Uhr ist dies vorbei und dann geht die Doctor Ernennung vor sich. Ein Professor hält eine kleine Rede streicht des Kandidaten Vorzüge heraus und fordert ihn auf einen Eid zu schwören: das geschieht und alsdann ernennt er ihn im Namen des Kaisers zum Doctor. So gegen halb ein Uhr ist alles vorbei.[64] Hauptsache, er blieb in allem Sieger.
Von den drei Nachwuchspolitikern der Hamburger Republik war Ferdinand Beneke der jüngste, geboren am 1. August 1774 in Bremen und auch dort aufgewachsen.[65] In Hamburg ließ er sich erst nach seiner Promotion nieder. Die Karrierechancen waren in der großen Stadt besser. Er hatte kein Geld, war hoch verschuldet, verfügte aber in Hamburg über großzügige Förderer, unter ihnen Georg Heinrich Sieveking, Mäzen, Großkaufmann und Freund der Revolution in Frankreich. Benekes Vater hatte in Bremen auf großem Fuße gelebt, war jedoch in finanzielle Schwierigkeiten geriet. 1790 ließ er sich in verkleinertem Format in Minden nieder, ohne viel Erfolg. Wie in wohlhabenderen Kreisen üblich wurde Sohn Ferdinand von Privatlehrern unterrichtet, besuchte das Bremer Gymnasium und studierte nach einem kurzen, aber unerfreulichen Zwischenspiel an der Akademie Rinteln Staats- und Wirtschaftswissenschaften in Halle, der Staatsuniversität Preußens.
Halle war eine radikale, oppositionelle Universität, was in Berlin nicht unbeachtet blieb. Im Mai 1794, ein halbes Jahr nach dem Abgang Benekes, trafen dort zwei Mitglieder der preußischen Regierung ein, um das Religionsedikt des Staatsministers Johann Christoph von Woellner durchzusetzen. Es sollte die Aufklärung in Kirche und Schulen bekämpfen und hatte Signalwirkung für das politische Deutschland. Sie stiegen im Hotel zum Goldenen Löwen ab und verbrachten dort zwei ungemütliche Nächte. Am ersten Abend versammelten sich maskierte Studenten unter den Fenstern und riefen Parolen, am zweiten warfen sie Steine. Die Universität selbst hatte gegen das Gesetz in Berlin protestiert.[66] Wäre Beneke noch da gewesen, hätte er sich wohl unter den vermummten Demonstranten befunden. Er war nämlich Revolutionär und bedauerte, daß wir noch keine Laternenpfähle haben! Schade überhaupt, daß von uns die Guillotinezeit noch so weit entfernt ist, wo der Unterdrückte vor dem Richterstuhl seiner Nazion klagen und sein Wehe über die verruchten Usurpateurs aller Volksgewalten rufen darf.[67] Und dann freute Student Beneke sich über die Siege der Pariser Revolutionäre. Neben diesen radikalen Ausbrüchen, wohlwollend toleriert von der Professorenschaft, führte er das Leben eines Studenten des 18. Jahrhunderts: gesellige Clubs, zärtliche Freundschaften, Duelle und genialische Reisen durch das schöne Thüringen – und plötzliche Mystifikationen. Unterwegs in Halberstadt taucht ein schwedischer Offizier auf. Kennt man sich? Anscheinend ja, Gefühlsaufwallung, tiefe Empfindung. Dann ist er weg, und mit ihm einige Louisdore, die Ferdinand ihm geliehen hatte. Zum Schluss gibt es eine wilde Verfolgungsjagd zu Pferde, aber ohne Erfolg.[68] Im Oktober 1793 verabschiedete sich Beneke von Halle.
Zurück in Minden bei seinen Eltern gestaltete sich das Jahr 1794 schwierig. Benekes Bewerbung als Referendar im preußischen Staatsdienst schlug fehl. Der Bürger mit erstklassiger Qualifikation war durchgefallen, während die adlige Konkurrenz Erfolg hatte. Es kam schlimmer. Das Geschäft seines Vaters stand vor dem Bankrott.[69] Keine guten Aussichten für Ferdinand, der über dem ganzen Unglück auf die Idee kam, nach Amerika auszuwandern. Was aber sollte aus Vater und Mutter werden? Ferdinand war ein guter Sohn, auch ein bisschen rührselig. Wenn ich’s nur meinen Eltern so beybringen könnte – – –.[70] Und dann wurde er doch noch preußischer Referendar, betrachtete dies aber als ein Zwischenspiel, um sich für seine amerikanische Karriere fit zu machen. Er erwartete dringend Post aus Amerika, hoffentlich bekomme ich von den biedern Kongreße so günstig Nachricht, daß ich allerdings dort ein meinem Wunsche angemessenes Glück erwarten kann. Mags doch immer romantisch klingen! Genug ich setze es durch, es gehe, wie es wolle.[71] Aber war die Hoffnung realistisch, morgens um neun in Philadelphia auf die Regierung zu gehen,[72] um dort gute demokratische Taten zu vollbringen? Sein Hamburger Förderer Georg Heinrich Sieveking übernahm die etwas diffizile Aufgabe, ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuführen. Außerdem hatte seine Mutter ihm in der Katastrophe des finanziellen Zusammenbruchs gesagt: „Ferdinand! Du bist mein einziger Trost.“[73] Da konnte man nicht einfach nach Amerika auswandern. Es gab eine Alternative. Sein Ziel war es jetzt, in Göttingen zu promovieren und dann in Hamburg reich und ein guter Republikaner zu werden. Offen blieb die Finanzierung. Kurzfristig verfiel er auf ein wildes Spekulationsprojekt. Er wollte als Kompagnon eines preußischen Armeelieferanten zu Geld kommen. Als Heereslieferant konnte man phantastisch reich werden, hatte er gehört.[74] Das Projekt endete mit einem Fiasko und Ferdinand strandete in der Nähe von Halle. Auf dem Jahrmarkt von Radegast verkaufte er seine Sachen, um für die Reise nach Göttingen ein paar Taler in der Tasche zu haben.[75]
Finanziell ruiniert kam er dort im Mai 1795 an. Die Stadt gefiel ihm, etwas ländlich, aber erstklassige Professoren, weniger Luxus im Gegensatz zu Halle, wo lässige Studenten viel Geld vergeudeten.[76] Er fand Bremer Freunde wieder, darunter Johann Smidt, so liberal, so alltäglich scheints, so anspruchslos – so schlicht: ein kleiner Fränklin.[77] Gemeint war der amerikanische Revolutionär Benjamin Franklin, Erfinder des Blitzableiters. Smidt gehörte zu den jungen Wilden, zu den Demokraten. Später wurde er Bremer Bürgermeister. Beneke zeigte sich wie seine hanseatischen Freunde politisch heikel im geselligen Leben der kleinen Stadt, das durch monarchische Festivitäten geprägt war. Ein großer Anlass war der Geburtstag des Königs von England und Kurfürsten von Hannover. Die Bremer gingen nicht hin, sie waren schließlich Republikaner. Beneke ließ sich die Gelegenheit hingegen nicht entgehen, alle Lehrer der Universität auf einmal zu sehen, weigerte sich aber in stillem Protest zu tanzen und hielt sich dadurch schadlos, dass er auf dem scheel kritisierten Königsfest Ludwig Timotheus von Spittler, Professor an der philosophischen Fakultät, die Hand schüttelte: Demokrat ist er, wie Schlözer.[78] August Ludwig Schlözer, ebenfalls Professor an der philosophischen Fakultät, äußerte sich in seinen Staatsanzeigen so kritisch, dass sie verboten wurden. Das hatten die Göttinger Royalisten davon. Unter ihren Augen verbündeten sich die Demokraten und verweigerten den Tanz – zumindest einer von ihnen.
Aber wie sollte Beneke an Geld für sein Studium kommen? Von Sieveking forderte er ziemlich forsch 300 Taler zur Deckung der Gesamtkosten von geschätzt 400 Talern an. Der Gönner zeigte sich großzügig, machte nicht viel Umstände und schickte das Geld.[79] Ende 1795 hatte Beneke seine Promotion in der Tasche. Das republikanische Abenteuer an der Elbe konnte beginnen. Viktoria! ich bin ein freier Mensch geworden, und bald werde ich ein republikanischer Bürger. Freiheit! Freiheit, und Bürgerthum![80]
Die Abkürzungen StAHH, StAB und StACux beziehen sich auf Bestände der Stadt- und Staatsarchive von Hamburg, Bremen und Cuxhaven; die Fußnoten auf die Literaturliste.
[1] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III a 2, Tagebuch, 24.12.1784.
[2] Liebel: Laissez-faire, S. 216.
[3] Beneke: Bürgermeister, S. 5.
[4] Beneke: Bürgermeister, S. 24.
[5] Heß: Hamburg, Teil 3, S. 328f.
[6] Verhandlungen und Schriften, Bd. 3 (1795), S. 161.
[7] Ferguson: Empire, S. 13, 72.
[8] Stromeyer: Erinnerungen, Bd. 2, S. 286.
[9] Beneke: Geschichte und Genealogie, S. 53.
[10] Stromeyer: Erinnerungen, Bd. 2, S. 284.
[11] Verhandlungen und Schriften, Bd. 7 (1807), S. 3; Riedel: Meyer, S. 13f.
[12] Riedel: Meyer, S. 15f.
[13] Meyer: Skizzen, Bd. 2, S. 63f.
[14] Meyer: Skizzen, Bd. 2, S. 180
[15] Beneke: Geschichte und Genealogie, S. 49.
[16] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III a 1.
[17] Bartels: Abhandlungen, S. XXVIII.
[18] Beneke: Bürgermeister, S. 7.
[19] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III a 1, Alers an Bartels, 6.10.1785.
[20] Kopitzsch: Grundzüge, Tl. 2, S. 474f.
[21] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III a 1, Alers an Bartels, 11.6.1779.
[22] Zitiert nach Bonter: Sehnsuchtsort, S. 46.
[23] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III a 1, Alers an Bartels, 30.3.1780.
[24] Vgl. auch Kopitzsch: Grundzüge, Tl. 1, S. 383f.; Lofft war kurze Zeit auch Lehrer J. F. L. Meyers. Riedel: Meyer, S. 18f.
[25] Meyer: Skizzen, Bd. 2, S. 226; vgl. auch Sieveking: Georg Heinrich Sieveking, S. 6.
[26] Heß: Hamburg, Teil 3, S. 420f.
[27] Meyer: Skizzen, Bd. 2, S. 186.
[28] Meyer: Skizzen, Bd. 2. S. 183.
[29] Beneke: Bürgermeister, S. 8.
[30] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 1, Bartels an seinen Vater, 8.1.1781.
[31] Beneke: Bürgermeister, S. 8.
[32] Büsch: Wort, S. 23.
[33] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III a 2, Bartels an seinen Vater, o. D.
[34] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 1, Bartels an seinen Vater, 17.2.1785.
[35] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 1, Bartels an Schwester Marianne, 25.2.1787.
[36] Stromeyer: Erinnerungen, Bd. 2, S. 285.
[37] Kopitzsch: Grundzüge, Tl. 2, S. 643.
[38] Böttiger: Zustände, 1998, S. 463f.
[39] Martus: Aufklärung, S. 730.
[40] Bisky: Berlin, S. 165.
[41] Kopitzsch: Grundzüge, Tl. 1, S. 442.
[42] Hamburgischer Correspondent, 22.2.1843.
[43] Stubbe da Luz/Wurm: ‚Hamburg‘, S. 166.
[44] Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung, Nr. 32, 1787.
[45] Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung, Nr. 27, 1787.
[46] Katalog der Commerz-Bibliothek, Spalte 1242.
[47] Kopitzsch: Grundzüge, Tl. 1, S. 425.
[48] StACux, Amtsarchiv Ritzebüttel I Fach 13 Vol B Fasc 2 Dok 89, Abendroth an Hartung, 27.10.1829.
[49] StACus, Amtsarchiv Ritzebüttel I Fach 13 Vol B Fasc 2 Dok 111, Abendroth an Hartung, 2.1.1831.
[50] StACux, Amtsarchiv Ritzebüttel I Fach 13 Vol B Fasc 2 Dok 95, Abendroth an Hartung, 6.3.1830.
[51] SUB Hamburg, Nachlass Friedrich Lorenz Hoffmann, Abendroth an Hoffmann, 22.10.1817.
[52] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 1, Bartels an seinen Vater, 8.6.1789.
[53] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III a 4, Promotionsurkunde Abendroths.
[54] StAHH, Senat Cl VII Lit He No 1 Vol 33 Dok 42, eine Erinnerung aus einem Memorandum Abendroths, 3.8.1831, S. 38.
[55] Beneke: Tagebücher, 1.11.1795.
[56] Meyer: Briefe, Bd. 2, S. 287.
[57] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 1, Bartels an seinen Vater, 17.2.1789.
[58] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 1, Bartels an seinen Vater, 17.2.1789.
[59] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 1, Bartels an Schwester Marianne, 19.1.1789.
[60] StAHH, Senat Cl VII Lit He No 1 Vol 33 Dok 42, Memorandum Abendroths, 3.8.1831, S. 15f.
[61] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III a 4, Inauguralthesen Abendroths, 1790.
[62] Wurm: Memoriam, Text bei Stubbe da Luz/Wurm: ‚Hamburg‘, Bd. 1, S. 174.
[63] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III a 4, Inauguralthesen Abendroths, 1790, Anhang in der Handschrift Bartels’.
[64] StAHH, Familie Bartels Johann Heinrich Bartels III d 1, Bartels an seinen Vater, 5.4.1790.
[65] Beneke: Tagebücher, Vorbericht.
[66] Clark: Preußen, S. 321.
[67] Beneke: Tagebücher, 6.7.1793.
[68] Beneke: Tagebücher, Vorbericht, 25.6.1792, 27. und 28.6.1792, 26.7.1792.
[69] Beneke: Tagebücher, 1.12.1794, 13.1.1795, 20.1.1795.
[70] Beneke: Tagebücher, 21.1.1794, 22.1.1794, Zitate 22.1.1794.
[71] Beneke: Tagebücher, 11.4.1794, 10.5.1794, Zitat 10.5.1794.
[72] Das tat er 1794 als Referendar fast jeden Tag und so nannte er es im Tagebuch.
[73] Beneke: Tagebücher, 6.10.1794.
[74] Beneke: Tagebücher, 29.6.1795.
[75] Beneke: Tagebücher, 2.5.1795, 4.5.1795, 7.5.1795.
[76] Beneke: Tagebücher, 16.5.1795.
[77] Beneke: Tagebücher, 17.10.1795.
[78] Beneke: Tagebücher, 4.6.1795.
[79] Beneke: Tagebücher, 20.10.1795, 3.11.1795.
[80] Beneke: Tagebücher, 31.12.1795.
Hallo Rüdiger, ich freue mich schon auf die nächste Folge! Gespannte Grüße, Julia